Auf dieser Seite stelle ich mich und mein Ostsee-Segel-Projekt vor.
Kurz und knapp: ich habe vor dieses Jahr mit meinem Segelboot einmal um die Ostsee zu fahren. (Für alle "Nichtblogger", es wird von unten nach oben gelesen! Und ihr könnte auch gerne Kommentare schreiben!)

Freitag, 31. Dezember 2010


Ich denke das Plakat spricht für sich. Willkommen ist jeder, der Lust auf eine etwas andere (chaotischere) Sicht auf die Planung und Durchführung einer Segelreise hat.

Dank und Resumé
Von Berlin nach Berlin, über Kopenhagen, Mariehmamn, St. Petersburg und Riga ging die Reise. Ich habe in Häfen gelegen, vor Anker, an einer Schäre festgemacht, an einem anderen Boot, oder bin die Nacht durch gefahren. Ich hatte Flaute, Sturm, Regen, Hitze, Gewitter, Nebel, eine Crew, die schon mal gesegelt ist und eine, die das erste Mal ein Boot gesehen hat. Ich war alleine, wir waren zu viert, wir haben Segel und Genua ausgebaumt, das erste Reff reingebunden, dann das zweite und letztendlich das Großsegel ganz weggenommen, die Genua aufs minimalste verkleinert und sind trotzdem bis zu 9,2 Knoten gefahren.
Ich hatte 65 Hafentage, in denen ich mir die Gegend angeguckt habe, rumgereist bin, oder einfach das Boot wieder repariert habe. 
Es waren tolle fünf Monate, die möchte ich nochmal mit euch teilen möchte am 27.01.

Außerdem möchte ich an diesem Punkt mal allen Leuten danken, die mir das alles ermöglicht haben. Wenn ich jetzt die Bilder durchsehe, merke ich erstmal wieder, was für ein unglaubliches Engagement von so vielen Menschen da hinter stand. Ich werde versuchen jeden einzelnen aufzuzählen, aber die Liste ist noch nicht mal halb fertig, deshalb braucht das noch ein wenig.

Samstag, 25. Dezember 2010

der Friedensmuffin sei mit euch

Krokodile, Tiger, Muffins, Bären, Fische haben eins gemeinsam, sie gehören an einen Weihnachtsbaum, zumindest an unseren. Zusammen mit etwas Liebe, Freude, Besinnlichkeit, Kartoffelsalat und dem Weihnachtsoratorium kann die Party steigen. Da kann man auch mal drüber hinwegsehen, das mein Magen gerade eine Ein-Mann-Revolte geplant hat.

Und für alle, denen nach der Bescherung bereits die Gesprächthemen ausgegangen sind: imTagesspiegel war gestern ein herrlicher Artikel zum Thema Frieden, der Diskussionsstoff für einen ganzen Abend bietet. Denn wie schon Hegel festgestellt hat: zur Philosophie meint jeder eine Meinung zu haben.

http://www.tagesspiegel.de/zeitung/nach-innen-und-aussen/3679710.html

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Die Aktualität des Schönen

Was macht man eigentlich als Segler im Winter? Klar - planen. Die Pläne reichen von "einmal aus dem Winterstand in die Box umschiffen" bis zu "Reisen durch's weiße, rote, schwarze und gelbe Meer und noch nen kleinen Abstecher über den pinken Ozean". Irgendwo dazwischen liegt die Realität (aber Pläne werden noch nicht verraten). Bevor es ans nächste Projekt geht, sollte ich mich, zumindest erstmal, auf die Uni konzentrieren, auch wenn noch nicht geklärt ist, wie ich damit jemals wirklich Geld verdienen soll (zur Erinnerung: ich studiere Philosophie). Gerade lässt allerdings die Kälte und die Feuchtigkeit erstmal alles schimmeln. Halt wird da nicht mal vor meinen Ohrringen gemacht, die ich neulich da vergessen hatte - da hilft auch kein Salz.

Meine Mutter hat mich heute daran erinnert, dass ich bei so einem Wetter, nur mit noch mehr Schnee, das ganze Wochenende am Boot gebaut habe - mensch, muss ich bescheuert gewesen sein, sowas macht doch kein klar denkender Mensch! Ein Gutes hat das Wetter, es macht Weihnachtsstimmung und verspricht, dass es bald wieder vorbei ist.

Meine Liste für Reperaturen ist lang, ist aber gerade zum Glück nicht ganz existenziell - ich habe ja immernoch die Hoffnung, dass es entweder nochmal wärmer wird, oder ich mich einfach an die Kälte gewöhne. Bis dahin sitze ich am Schreibtisch. Auf der einen Seite stapeln sich die Philosophen, die gerne gelesen werden wollen und auf der anderen Blätter mit Notizen über und aus dem Sommer, ich bin nämlich gerade dabei eine kleine Präsentation aus zu arbeiten, die ich im Januar in meinem Verein zeigen will. Außerdem bekomme ich ein paar Minuten auf der Boot Düsseldorf, ich bin allerdings selbst noch gespannt, was ich da erzählen werde. Vielleicht verräts mir der Nikolaus, der kommt ja in ein paar Tagen.

Ich wünsche allen einen genauso bunten Andventskalender, wie ich ihn habe und allen Seglern einen erholsamen Winterschlaf und vergesst nicht aus dem träumen auch wieder aufzuwachen.

Freitag, 15. Oktober 2010

dictum factum



Das ist die erste, seit langer Zeit versprochene Zusammenfassung der Reise in Zahlen.
Um alle Bilder zu sehen, muss der Beitrag vom Blog aus "gelesen" werden (von der Internetseite einfach dem Link folgen). Zum vergrößern der Bilder, drauf klicken.


Sonntag, 10. Oktober 2010

Wolle im Kopf

„Und wie war’s?“ – Gute Frage, aber mal ehrlich, was soll ich darauf antworten! „War scheiße“? – Wäre es das gewesen, hätte sich das schon schnell genug herum gesprochen und die Antwort, dass es „gut“ war, ist wohl so aussagekräftig wie eine Stricknadel in einem Wollknäuel. Und deshalb stehe ich jedes Mal wieder mit großen Augen vor der Frage und mein Gehirn verknotet sich nach einer angemessenen, smalltalk- fähigen Antwort.
Fünf Monate und reichlich Länder, Leute und Erfahrungen, aber wie es war – es tut mir Leid, ich habe keine Antwort, ich habe keine Ahnung wie es war. Ich bin jetzt wieder hier. Es ist ein nahtloser Übergang zum 5.Mai (ein Tag bevor ich gefahren bin). Wieder sitze ich in meinem viel zu bunten Zimmer mit der Janosch-Sternenhimmel-Tapete und um mich herum ein riesiger Haufen Segelsachen, Klamotten, Bücher, Hefte, Equipment, nur habe ich diesmal nicht die Aufgabe es alles ins Boot hineinzuquetschen, sondern irgendwie für alles den ursprünglichen Platz wieder zu finden. Der Grund, weshalb das Zeug hier immer noch herum liegt, obwohl ich schon wieder seit zwei Wochen hier bin, ist ziemlich einfach: ich will gar nicht hier sein. Natürlich ist es wunderschön meine Familie und Freunde und alle wieder zu sehen und zu Hause ist es ohne Frage auch immer schön, aber ich fühle mich ein wenig deplaziert und planlos. Eine ganze Woche stand das Boot genauso am Steg, wie ich es verlassen hatte.
Mir fehlt noch ein wenig die Orientierung. Ich habe mir sehr viel vorgenommen, was ich alles machen möchte, wenn ich wieder zu Hause bin, aber ich bekomme meinen Kopf einfach nicht frei. Mir fällt es sogar äußerst schwer diese Sätze hier zu formulieren. Aber jetzt keine vorschnellen Schlüsse, bis ich bereit bin für die Geschlossene dauert’s noch!!
Ich fühle mich hier eigentlich ganz wohl, ich muss nur neu Laufen lernen und einfach wieder einen Rhythmus in meinen Alltag bekommen. Aber das passiert ab morgen wohl von alleine, denn da fängt die Uni an und ich kann mich endlich wieder mit lebenswichtigen Fragen beschäftigen, mit dem Sinn des Lebens, dem Warum und Woher der Welt, hermeneutischen Identitäten und wie es mir geht – gerade geht’s mir übrigens ganz gut.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Ich will aber! Ich will aber! Ich will aber!

Der unmögliche Rückfahrtsmarathon lässt sich weder in drei Sätzen, noch in drei Zeilen zusammen stümmeln, deshalb werden diese Woche der Sandmann, der Osterhase, der Weihnachtsmann, der Storch, der Nikolaus und die Zahnfee jeweils eine Geschichte aus den turbolenten letzten Tagen als Gutenachtgeschichte bringen.(Die Tage werden rückwärts gezählt.)

Tag 1 – Ich komme wieder

Und das war’s nun? Wir stehen in der Schleuse Spandau, festgemacht an einem anderen Boot und langsam senkt sich das Wasser. Gleich werden die Tore aufgehen, wir in meinen Verein fahren, wo meine Eltern und vielleicht ein paar Bekannte warten und dann zu Hause ins Bett fallen. Wir sind fertig mit uns und der Welt. Die letzten Tage waren zwar noch mal echt schön, aber anstrengend – sehr anstrengend. Heute Morgen ging es wieder um fünf Uhr los. Zwar konnte man noch absolut gar nichts sehen und das Erkennen der Umrisse war auch eher Glücksfrage, aber wir hatten ausgerechnet, dass wir es schaffen könnten. Wenn wir um kurz nach fünf loskommen, müssten wir mit gutmütigen Schleusenwärtern ungefähr um 22 Uhr ankommen. Es ist zwar Sonntag, aber immer noch eine halbwegs humane Zeit. Hilft also alles nichts. Im dunklen Kanal fahren ist eine recht gruselige Angelegenheit, vor allem, wenn so viele Stöcke herumschwimmen. Deshalb muss Joschka mit unserer größten Taschenlampe vorne an der Spitze knien und in regelmäßigen Abständen einmal rund leuchten – nur nicht zu viel, denn mit so einem Nebel blendet das einfach nur extrem. Erste Schleuse kommt, Schiffsheberwerk kommt, zweite Schleuse kommt und der Motor rattert ohne Zicken. Irgendwann kommen wir an der Werkstatt vorbei, zu der wir uns auf der Hinfahrt gerade noch so geschleppt hatten und haben schon Angst, dass unser Motor im Anfall von Sehnsucht sich wieder verabschieden könnte, aber er bleibt stark. Er meckert nicht einmal, als wir noch einen halben Knoten beschleunigen und von da an mit 5,5 Knoten über die Kanäle flitzen – braves Ding, ich bin begeistert.
An sich steht Joschka fast den ganzen Tag am Steuer. Ich brauche noch etwas Zeit mit mir und meinem kleinen Boot… Ok, genug Sentimentalitäten. Es war bis jetzt alles gut gegangen, so unglaublich gut, fast zu gut.

Wir sind weit vor unserer Zeit, durch die Schleusen können wir nur so durchflutschen. Vor der letzten haben wir aber am meisten Angst: Schleuse Spandau. Das letzte Mal, dass ich in diese Richtung wollte, mussten wir vier Stunden warten – das würde alles versauen. Aber auch hier ist irgendeine höhere Macht an der Kurbel. Als wir um die erste Ecke biegen, zeigt das Licht schon grün. Bis zur zweiten Ecke und damit bis zur Schleuse sind es aber noch gefühlte fünf Minuten und die ganze Zeit leuchtet mich dieses grüne Licht frech an, als will es mir sagen: „Hehe, ich geh gleich aus!“ – geht es aber nicht! Wir biegen um die letzte Ecke und es ist immer noch an. Wir können einfach so in die Schleuse fahren, als hätten sie extra auf uns gewartet, dabei haben wir niemanden über Funk erreicht.
Die Schleusentore gehen auf – ich bin wieder zu Hause. Als wir auf die Spandauer Brücke zufahren trötet es plötzlich; die Brücke zeigt ein rotes Licht an, aber wo sollte ich denn sonst lang fahren?! Gerade will sich die Verzweiflung in mir breit machen, als Leonie, die wir an der Spandauer Schleuse aufgesammelt hatten, fragt, ob ich den Mann da oben auf der Brücke kenne. Natürlich kenne ich ihn und noch einmal trötet er. Es sind die Ahlburgs aus unserem Verein, die uns begrüßen! Hinter der Brücke warten Uli und Crew auf seinem Schiff auf uns – holla, ist das schön alle wiederzusehen. Ich bin einfach nur glücklich, auch wenn es seit der Berliner Grenze unaufhörlich regnet. Das ist mir egal, so sind wir losgefahren, so müssen wir halt auch wieder ankommen.
Auf dem Kanal hatte ich genug Zeit, alle Gastlandsflaggen zusammenzubinden und mit dem Bootshaken als Mast zu den Seiten des Boots zu spannen. Ursprünglich waren sie mal ganz ordentlich alphabetisch geordnet, aber dann musste so viel rumgerückt werden, dass ich jetzt nur noch hoffe, dass keine falsch rum hängt, denn Uli macht gerade Fotos: „Guck mal, das war Merle, die nach fünf Monaten immer noch nicht wusste, wie die polnische Flagge aussieht.“ – Mensch wäre das peinlich. Wir biegen um die Ecke zum Verein und ich muss einfach nur die ganze Zeit wie verstrahlt grinsen. Es regnet zwar immer noch, aber die Sonne ist dafür immer noch nicht untergegangen, das heißt es ist gerade mal 19+ Uhr – ist das nicht toll?! Ich finde, da muss man sich einfach freuen.
Auf dem Steg stehen eine ganze handvoll Regenschirme mit Leuten unten dran, die alle auf uns gucken. Und wieder geht das Getröte los. Diesmal sind wir aber vorbereitet und tröten zurück. Am Steg werden wir herzlich empfangen, beeilen uns aber trotzdem, dass wir schnell ins warme und trockene Vereinshaus kommen. Dann kommt der unangenehme Teil, aber meine Mutter hält es zum Glück ziemlich kurz: „Schön, dass du und ihr wieder da seid!“ Uns prosten ein paar Duzend Leute zu. Vielleicht 40? Mehr, weniger, ich habe keinen Überblick, auf jeden Fall sind es alles Menschen, die ich ganz doll lieb habe, was noch ein viel größerer Grund zu noch viel größerer Freude ist – ich könnte platzen.
Abends schlafe ich seit Langem mal wieder in einem richtigen Bett – in meinem Bett. Ich warte auf etwas, worauf mich so viele Leute vorbereitet hatten: „Ick sag dir, dat wird schaukln.“ Tut es aber nicht! Ich bin ein wenig enttäuscht. Hab ich was falsch gemacht? Ich glaube nicht, der Sommer war so wunderbar, so unglaublich schön, das kann nicht falsch gewesen sein. Das einzige was vielleicht falsch ist, ist das ich hier im Bett liege und es wohl noch eine Weile dauern wird, bis ich wieder ablege. Aber auch eine Weile ist zeitlich begrenzt. Ahoi!

(Es wird wohl noch eine Sammlung von Daten und Fakten folgen, aber die muss ich erstmal alle auswerten.)

Plan VI

Standort: Berlin (Deutschland)
Distanz bis Berlin: 0 sm
Verbleibende Zeit: 0 Tage
Durchschnittliche Tagesstrecke: 0 sm
Status: Ça y est!


Tag 2 - falsche Aggregatzustände 

Wenn der Wecker morgens um 4 Uhr klingelt, man mit höchsten rhetorischen Mitteln versucht seine Augen zum Öffnen zu überreden, man dann den Atem sieht, weil es nicht über drei Grad hat, Wasser von der Decke tropft, man nur gute vier und ein bisschen Stunden geschlafen hat und das nicht mal gut, die erste Erinnerung der noch stehende Mast ist und keine Milch mehr für das allmorgendliches Müsli da ist, gibt es keinen Grund aufzustehen. Wer das dann doch macht, wird sich im nächsten Moment unglaublich über sich selbst ärgern, denn der Nebel ist so dicht, dass die Sicht gerade bis zur Ausfahrt des Hafens reicht, sich dahinter aber die ganzen Untiefen befinden – Wecker auf eine Stunde weiter gestellt und in Jeans und Pullover wieder ab ins Bett. Ich kann nicht mehr schlafen und gehe an den Rechner, um noch ein paar Sachen zu erledigen.Als wir dann endlich losfahren, hat sich eigentlich noch nichts geändert. Der Nebel ist eher noch dicker geworden, dafür ist es inzwischen hell und der Rest lässt sich schon irgendwie erahnen. In Stettin versuchen wir dann, den Hafenmeister und einen Kran zu finden, wir haben es nämlich eilig. Der Tag hat ja gleich mit zwei verlorenen Stunden angefangen, so dass wir hier nur noch ein Zeitfenster von einer halben Stunde haben. Die brauchen wir allerdings schon, um überhaupt den Hafenmeister zu finden. Der erzählt uns, dass es den Kran nicht mehr gibt, wir aber zu der Marina neben an gehen könnten. Ganz bestimmt nicht! – die wollen für unseren kleinen Mast 40€ haben. Die einzige Alternative: Selber legen.
Der Hafenmeister, ein kleiner alter Mann, der, als ein Motorboot vorbeifährt, fast von meinem Boot fällt, behauptet das schon mal gemacht zu haben. Als dann aber noch zwei starke Männer dazu kommen, bin ich beruhigt. Wanten und Fock sind ab, die Runterlassleine ist gespannt, die zwei Männer stehen hinten, ich nehme die Leine, es macht rtzsch, die Leine fällt aufs Deck, ich gucke doof. Zum Glück hat Joschka den Mast noch am Vorstag in der Hand, sonst wäre es jetzt wirklich schnell gegangen. Aber auch so geht es ziemlich schnell. Wir nehmen ein anderes Seil und der Mast ist unten. Joschka geht noch schnell den letzten Dieselkanister voll machen und los geht’s unter der ersten Brücke durch, unter der zweiten und dritten, vorbei an Schubis, Westoder, Ostoder, noch mehr Brücken, andere Booten, dann ist es dunkel.
Wir wollten eigentlich bis zum Schiffshebewerk Niederfinow kommen, aber die Sonne muss sich heute wohl schon drei Stunden früher verabschiedet haben. Immerhin sind wir schon in Deutschland, in Stolpe, drei Stunden von unserem eigentlich Ziel entfernt, aber hier gibt es ein Restaurant und das ist mehr als Grund zum Bleiben. Ich bin ein wenig geschockt vom Preisunterschied, aber das einzige, was wir noch an Bord haben, sind passierte Tomaten und da das der Stand seit fast zwei Tagen ist und man das irgendwann nicht mehr sehen kann, gibt es für mich Pilze, für Joschka ein Steak und zum Nachtisch für uns ein kaltes Bett. Das letzte was ich an diesem Abend sehe bevor ich das Licht ausmache, ist mein Atem, der sich weiß im Raum ausbreitet und aussieht wie eine kleine Schäfchenwolke. Wenn man die Augen zusammen kneift, kann man die Worte „ich will aber“ erkennen, aber vielleicht ist es auch nur eine überdimensionale Spaghettizange in einem Blumentopf – wer weiß das schon so genau.


Plan V

Standort: Stolpe (Deutschland)
Distanz bis Berlin: 66 sm
Verbleibende Zeit: 
1 Tage
Durchschnittliche Tagesstrecke: 66 sm
Status: ohne Schleusen könnte man noch mal drüber reden


Tag 3 - wir haben Grund zum Feiern

Heute kann es regnen, stürmen, oder schnei'n, (regnen - ok, stürmen - NEIN, schneien - auf gar keinen Fall! Aber wie wärs mit Sonne...)
denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein. (um drei Uhr morgens strahlt niemand)
Heut' ist dein Geburtstag darum feiern wir, (das Feiern holen wir ganz bestimmt in Berlin nach)
alle deine Freunde freuen sich mit dir, (ja ja, ich weiß, dass du noch mehr Freunde hast als nur mich)
alle deine Freunde freuen sich mit dir. (wie gesagt, in Berlin dann...)


Wer kann von sich schon behaupten, seinen Geburtstag jemals so intensiv erlebt zu haben: 20 Stunden wach und genug Zeit zum Selbstreflektieren. Wir wollten endlich mal Meilen aufholen, die in den letzten Tagen so auf der Strecke geblieben sind, deshalb ging es um 3 Uhr (!) husch, husch aus dem Bett. An sich hatten wir auch gar nicht die große Wahl, Wir würden mindestens zwei Tage im Kanal brauchen, vor allem, wenn man diese schrecklich unberechenbaren Schleusen berücksichtigt. Das heißt, wir müssten heute mindestend bis Stettin kommen und am bestens auch noch den Mast legen - na, wenn's sonst nichts ist, sind ja auch nur 81sm.

Während Joschka den Schlafsack rausholt und es sich draußen zum Schlafen bequem macht, kommen mal wieder all die anstrengenden Fragen und Gedanken in mir hoch, die sich ohne Anspruch auf Antwort angestaut hatten. In drei Tagen will ich zu Hause sein und was dann? Was würde dann passieren? Würde ich dann plötzlich wissen, was mein Leben von mir will? - Eigentlich hatte ich gehofft, das auf der Reise rauszufinden. Wie wird das Studium? Was mach ich mit dem Boot? War's das dann? Oder bleibe ich nur eine Woche und lege dann wieder ab? Was wird aus meinem Plan Match-Race zu segeln? Wird zu Hause alles wie vorher sein? Was machen meine Freunde? Man sollte meinen in der Zeit von Facebook & Friends ist man nie weit weg von zu Hause, wenn es aber um die wirklich wichtigen Dinge geht, dann ist man damit weiter weg, als es mit einem Brief je sein könnte. Aber die allerschlimmste Frage ist die, wegen der Liebe...

Joschka schläft inzwischen und ich genieße die erste wirklich schöne Nachtfahrt auf der Reise. Das erste Mal ist der Himmel sternenklar und der Mond bescheint alles so hell, dass ich keine Probleme habe den Kurs zu halten oder wach zu bleiben. Es ist das erste Mal, dass ich keine Angst habe bei Nacht, keine Halluzinationen, Gewitter-Wahnvorstellungen, klaustrophobischen Gefühle oder Müdigkeitsanfälle bekomme. Letzteres setzt erst ein, als die Sonne hoch genug steht, Joschka verstanden hat wie man die Segel richtig einstellt und was "zu viel Druck auf dem Ruder" bedeutet.
Als er mich weckt sind wir kurz vor Swinemünde. Es geht durch den Kanal und auf das Stettiner Haff - zum Glück hat uns Joern seine Karten ausgeliehen. Meine waren schon vor zwei Monaten mit dem Gepäck meiner Mutter zurück nach Berlin geflogen - mal wieder so ein typischer Planungsfehler. Auf dem Haff habe ich endlich genug Zeit, einen Geburtstagskuchen zu backen, denn wenn schon alles andere fehlt, muss wenigstens der Kuchen da sein. Es wird ein sehr schokoladiges Etwas mit Frischkäsezeug, Cornflakes und Lions drauf, oder die richtige Formulierung für unsere Gourmetfreunde: ein saftiger Tarte au Chocolat mit einer zarten Frischkäsecrème gefüllt, garniert mit Maisflocken und Schoko-Karamel-Tropfen... - wie auch immer.
Das Gesamtkunstwerk stand genau passend auf dem Kocher, als wir das Tonnentor vor uns haben, dass wir vor 147 Tagen schon einmal passiert hatten, allerdings in die andere Richtung. Was für ein bewegender Moment. Der Sekt wird rausgeholt, Rasmus der letzte Schluck Sherry geopfert und ich freue mich. Ich war echt einmal rum. Das, was so viele Leute, inklusive mir, so lange bezweifelt hatten. "Warte mal ab, bis die im Stettiner Haff das erste Mal einen auf die Mütze kriegt, dann dreht sie schon wieder um", waren die tröstenden Worte meiner Mutter an meinen Vater bei der Abfahrt.

Jetzt geht es aber erst einmal darum, einen Hafen für die Nacht zu finden, in dem man am besten noch an diesem Abend den Mast legen könnte. Wir entscheiden uns, in Ziegenort zu bleiben (4 Stunden vor Stettin), da sehen wir nämlich einen Mastkran und ein Mann erzählt uns, dass der Hafenmeister in zehn Minuten da sein wird. Die Zeit nutzen wir zum Kuchen essen und um das Mastlegen vorzubereiten - schon toll, was man alles in zehn Minuten erledigen kann. Wir gucken auf die Uhr, es ist fast eine Stunde vergangen. Ich gehe zum gleichen Mann wie vorhin, diesmal versichert er uns, dass der Hafenmeister ganz bestimmt in einer halben Stunde kommt. Das nächste Mal, als ich frage kommt dann eine realistischere Antwort: morgen früh um 9!

Wenn wir morgen um 9 polnischer Zeit, 11 deutsche Zeit, anfangen den Mast zu legen, dann noch vier Stunden nach Stettin und von da aus noch 120 Meilen nach Berlin brauchen, sollten wir mal anfangen uns mit dem Gedanken anzufreunden, erst am Montag Abend anzukommen. Aber wie auch immer, heute passiert hier erstmal nichts mehr. Wir schrauben noch die letzten Unterwanten ab, stellen den Wecker auf vier und fallen ins Bett. Das letzte, an was ich an diesem Abend denke, ist die langsam verblassende Hoffnung:"aber, wenn ich doch will?"


Plan IV

Standort: Ziegenort (Polen)
Distanz bis Berlin: 120 sm
Verbleibende Zeit: 2 Tage
Durchschnittliche Tagesstrecke: 60 sm
Status: vorbei


Tag 4 - Der Prinzessin königliche Eskorte

„wo seid ihr denn gerade? wenn ihr in kolberg ankommt liegt auf der pahoa eine windsteueranlage zum mitnehmen“ gesendet Joern Heinrich 17:28 … und ich hatte mein Handy aus, jetzt sind wir in Darlowo und das heutige Tagesziel heißt nicht Kolberg, sondern Dziwnow; Entfernung 65sm, denn da soll es angeblich einen Kanal geben mit zwei Klappbrücken, den man mit einem Tiefgang von 1,25m gerade noch befahren kann. Laut Karte spart das dann eine ganz schöne Ecke Zeit. (siehe Plan) Wieder müssen wir um 5 Uhr aufstehen, um die 30sm aufzuholen, die wir gestern nicht geschafft hatten und ein kleiner Abstecher nach Kolberg soll auch noch drin sein – liegt ja direkt auf dem Weg. Es ist herrlichstes Segelwetter. Es ist sogar so schön, dass ich auf Joschkas Gesicht den Ansatz eines Lächelns finde, als wir mit 6kn und Wind von der Seite – ohne Welle – Richtung Westen düsen. Vor Kolberg wird der Motor angemacht, weil der Wind ziemlich schwach geworden ist und wir uns das „rumdümpeln“ zeitlich gerade einfach gar nicht leisten können. Der Motor rattert, wir sehen die Mole, wir freuen uns; der Motor piept, wir freuen uns nicht mehr.
Was will der denn jetzt plötzlich? Die ganze Reise lief er zuverlässig und jetzt überhitzt er plötzlich – ich hatte dieses Geräusch schon fast vergessen.
Joschka geht runter und untersucht alles, was wir inzwischen kennen gelernt haben: Wasserfilter, Wasserzufluss, Impeller – aber nichts. Zwar stellen wir fest, dass mal wieder ein neuer Wasserfilter her müsste, aber wenn jetzt schon was im Motor drin ist, bekommen wir das eh nicht so schnell raus. Das hat gerade noch gefehlt, das war’s dann wohl mit Sonntag in Berlin. Ohne Motor sind Kanäle recht schwer zu befahren. Über Funk erlaubt uns der Hafenmeister in den Hafen zu kreuzen. Was heißt „erlaubt“, er findet einfach gerade niemanden, der uns abschleppen könnte, aber es ist ja so schönes Wetter, da ist das nicht so schlimm. Mit Sonnenschein und 3 Windstärken versuchen wir in einem 40m breiten Schlauch gegen 3kn Strom anzukreuzen. Neben uns her fährt ein Gummiboot des „Kapitanat Portu“ und begleitet uns – abschleppen darf es uns nicht, weiß der Geier. Nach einer Ewigkeit rückwärts Kreuzen kommt noch ein weiteres Gummischlauchboot mit drei sehr lustigen Männleins, die alle Shortys und gelbe Fahrradhelmchen tragen. Sie nehmen unsere Leine und wir tuckern endlich in halber Schrittgeschwindigkeit in die richtige Richtung. Wir sind zufrieden, bis sich nach fünf Minuten ein riesiger SAR-Abschlepplotse zu unserer Escorte gesellt. Sie fahren eine Weile neben uns her und winken - na Hauptsache, sie haben Spaß! Uns wird die ganze Aktion etwas peinlich und zwei Fragen fangen an, uns zu quälen: „Hoffentlich ist der Motor auch wirklich kaputt und wir waren nicht einfach nur zu doof.“ „Und wie viel kostet so ein Spaß eigentlich?“
Im Hafen angekommen, irren wir erstmal ein wenig ziellos durch die Gegend. In der Stadt suchen wir nach einem Bootsmotorenhändler. Wir werden von hier nach da und wieder nach hier geschickt und landen am Ende in einem Lager für Sanitätsbedarf. Dass sie natürlich keinen Seewasserfilter haben, hätten wir uns auch gleich denken können. Wir sind frustriert. Joschka kommt auf die Idee (er ist der Meinung, es war seine) mal Joern zu fragen, der sollte sich hier eigentlich auskennen. Während wir unsere viel zu fettigen Frustpommes essen, schreibt er zurück. Er hat einen Mechaniker organisiert und er ist noch in der Stadt und kann als Dolmetscher vorbeikommen. Die Stimmung hebt sich wieder. Die Antworten am Abend sind dann folgende: Der Motor ist wirklich kaputt, kann aber repariert werden und gekostet hat uns die Abschleppaktion ein Lächeln. Joern kennt das eine Abschleppmännlein, für sie war es eine willkommene Übung – herrlich oder?! Dem Motor wird der Blinddarm rausoperiert. Das Thermostat ist versandet. Anschließend schnurrt er wieder, als wenn es kein Morgen gäbe. Bezahlt wird mit der polnischen Wodkawährung und wir sind mehr als zufrieden. Es kann weiter gehen, aber nicht mehr heute Abend, dafür sind wir zu müde. Stattdessen wird der Wecker auf 3 Uhr gestellt und wir verbringen noch einige Zeit mit Jörn auf seiner Pahoa. Zwar haben wir fast einen Tag verloren, aber ich will immer noch am Sonntag da sein, zum Leid von Joschka, der morgen Geburtstag hat.


Plan III

Standort: Kolberg (Polen)
Distanz bis Berlin:
 200 sm
Verbleibende Zeit:
 3 Tage
Durchschnittliche Tagesstrecke: 67 sm
Status:
 langsam wird's knapp


Tag 5 - Kleinkarierter Planungsfehler

Es ist Mittwoch. Wir sind unausgeschlafen. Der Marathon kann starten. Die letzten Tage waren etwas kürzer. Die Wachphasen dauerten gerade mal acht Stunden - von 13 - 21 Uhr - wodurch aber lediglich die Pausen zwischen den einzelnen Mahlzeiten verschwindend gering wurden und Frühstück, Brunch, Mittagessen, Kaffeestunde, Abendessen und Nachtisch nahtlos ineinander über gingen. Dass wir jetzt um 5 aufstehen mussten, war für meinen Kopf dann so unvorstellbar früh, dass er nicht einmal protestierte, sondern resigniert im Stand-By-Modus das übliche Programm von Zähneptzuen bis Ablegen abspielte.

Vor dem ersten Sonnenstrahl sind wir draußen. Bis vor Kurzem hätte das noch geheißen, dass es gerade mal kurz nach drei ist, aber der Winter macht sich plötzlich sehr schnell breit und jeder Tag wird um weitere vier Minuten verkürzt, wie uns das GPS verrät - ich habe keinen Plotter, aber solche existenziellen Informationenen über Sonnenaufgang und Mondaufgang spuckt es dann trotzdem aus. Wir haben heute knapp 80sm bis Kolberg vor uns, also optimistisch gerechnet 16 Stunden und Ankunft nicht vor 21 Uhr, aber dafür sind wir wieder einmal vorwärts gekommen. Gegen Mittag bekomme ich eine SMS von Joern Heinrich, mit dem wir uns eigentlich in Kolberg treffen wollten, aber er muss leider morgen sehr früh nach Berlin. Er fragt, wo wir sind und ich gebe ihm die ungefähre Position: "Kurz hinter Ustka", dann freue ich mich weiter über die Sonne und das Joschka steuert. Es dauert keine Minute und die nächste SMS kommt: "es sind alle Sperrgebierte zu, da wird scharf geschossen und ihr fahrt gerade mitten rein." - Ach, hier ist ein Sperrgebiet? Oops! Nach einem äußerst kurzen Blick auf die Karte springen mir sofort drei Sperrgebiete ins Auge, die die halbe Karte einnehmen - verdammt - und wir sind keine Meile davor - noch mehr verdammt - das heißt für uns nämlich im 90° Winkel abdrehen und erstmal 10sm (2h) raus fahren - am verdammtesten! Und wir haben uns schon die ganze Zeit gefragt, was da vorne für hässliche Schiffe unterwegs sind. Die Aktion bedeutet insgesamt vier zusätzliche Stunden, was natürlich unsere ganze Planung umwirft. Denn wir können nicht um 1 Uhr nachts ankommen, oder realistisch um 3 Uhr und am nächsten Tag gleich um 7 Uhr weiter - wir sind doch keine Tiere. Wir entscheiden uns für die einzige Alternative und drehen wieder im 90° Winkel ab nach Darlowo und kommen mit Sonnenuntergang an der Klappbrücke an. Unsere Dieselvorräte sind komplett aufgebraucht und das Argument, dass wir ein Segelboot haben, zählt bei einer so knapp berechneten Rückfahrt nicht, vor allem, wenn mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5 kn geplant wurde, das aber nur realtistisch ist, wenn der Wind mindestens mit 4 Bft von der Seite kommt - ich denke mein Optimismus ist spürbar. Im Hafenhandbuch steht, dass es hier eine Tankstelle geben soll, davon wissen nur leider die Bewohner nichts. "Aber wir könnten nochmal eine halbe Stunde flußaufwärts gucken, falls es da etwas gibt, hat es aber eh schon zu." Na ganz toll, mein Optimismus fängt an zu schwinden - aber ich will doch am Sonntag in Berlin sein...
Vor uns liegt ein riesiger Holz-Zweimaster am Steg. Die Hälfte der Crew hat sich nun die letzte Stunde mit der Frage beschäftigt, woher wir Diesel bekommen könnten. Ich habe keine Lust mehr und gehe Duschen. Als ich zurück komme steht unser 20l Kanister in der Plicht und am Rand tropft noch übergelaufener Diesel herunter. Kurz danach kommt Joschka mit einem glücklichen Grinsen an Bord: "Die ham uns das geschenkt." Den Rest des Abends freuen wir uns bis zum Einschlafen über die Nettigkeit dieser Leute, die Nettigkeit andere Leute und der Nettigkeit der Welt im Allgemeinen.


Plan II

Standort: Darlowo (Polen)
Distanz bis Berlin:
 230 sm
Verbleibende Zeit:
 4 Tage
Durchschnittliche Tagesstrecke: 
57,5 sm
Status:
 früh aufstehen, aber machbar



Tag 6 - Was sagen Sie dazu, Herr Werdermann? – Die Leiden des jungen Segelan-Werthers

In Leba hingen wir letztendlich 6 Nächte im Hafen fest. Im Sommer ist die Stadt bestimmt ganz nett. Dann sieht man bestimmt nicht die grauen leeren Häuser, sondern nur tausende bunter Badetouristen – aber es war kein Sommer und auch kein schönes Wetter, sonst wären wir ja nicht da geblieben. Für mich waren diese Tage zwar keine wirklich Bereicherung an außergewöhnlichen Erfahrungen, aber ich hatte über die letzten Monate genug gemacht, dass sich das jetzt ausgleichen ließ. Joschka war erst seit zehn Tagen da, von denen wir acht im Hafen verbringen mussten – er bekam nach dem dritten Tag langsam ein psychisches Trauma, das sich in eine ausgewachsene Schizophrenie und Hafenphobie steigerte, was in minütlichen Hasstiraden gegen die Situation und das Segeln allgemein zum Ausdruck kam. Dass es an sich eher nichts mit dem Segeln zu tun hat und es auch nicht normal ist, wollte er mir aber nicht glauben, denn die Hinfahrt hatte er genauso erlebt: nass, kalt und unangenehm. Deshalb folgt hier ein kleines Interview, um einmal einen objektiven Einblick in eine Woche Bordleben bei mir zu bekommen. Guten Tag Herr Werdermann. Segeln bedeutet für viele Menschen Freiheit, Unabhängigkeit, Erleben und Abenteuer. Was verbinden Sie damit?
Im Hafen fest gehalten werden, extreme Wetterabhängigkeit, Stagnation auf engstem Raum, ständige Nässe, überall auch innerhalb des „Wohnraumes“ und stinkende Klamotten ...
Die letzten Tage haben Sie in dem vitalen Örtchen Leba verbracht, dass durch seine Nähe zur größten Wanderdüne Europas bekannt ist. Wie haben Sie die Zeit genutzt? Gab es bei dem attraktiven Angebot überhaupt Zeit zum Entspannen?
Nun aufgrund des extrem beschränkten Angebotes an trockener Kleidung, welches sich auch durch die zur täglichen Routine gewordenen, alle zwei Minuten auftretenden Schauerböen von höchster Konzentration nicht verbesserte, waren die Aktionsmöglichkeiten größtenteils auf die maximal 4qm Wohnbereich der auch an Stehhöhe nicht überdimensionierten Segelyacht lilleMy beschränkt.
Dann hatten Sie aber mit Sicherheit viel Zeit zum Nachdenken und konnten einfach mal „die Seele baumeln lassen“. Was hat Sie in den letzten Tagen am meisten beschäftigt?
Was mache ich hier? Was soll das Ganze? Warum tue ich mir das überhaupt an? Wer ist eigentlich auf diese sch…. Idee gekommen? Und wer hat eigentlich erzählt das Segeln Spaß macht???
Werden Sie nach der Ankunft in Berlin denn überhaupt noch einmal auf ein Segelboot steigen? Und würden Sie einen Urlaub auf der lilleMy trotz ihrer bisher eher negativen Erfahrungen weiterempfehlen?
Falls dieser Urlaub nicht abrupt damit endet dass meine Freundin Merle, die Bootseignerin und Organisatorin des ganzen Wahnsinns, und ich uns gegenseitig zerfleischen oder unsere Beziehung durch eine andere der vielen möglichen Katastrophen ein jähes Ende findet, werde ich wohl nicht drum herum kommen… Zu empfehlen ist ein Urlaub auf der lilleMy natürlich schon, vor allem wenn man auf alle Formen der Selbstgeißelung steht und sich gerne mit Problemen in Bezug auf die eigene Existenz auseinander setzt. Wenn man natürlich genug Mittel hat um „Rasmus“ und all die anderen Segelbosse um ein paar angenehmere Tage zu bestechen, sieht das Ganze natürlich etwas anders aus.

Vielen Dank für das Gespräch und ich hoffe Sie erleben noch Ihren 21. Geburtstag am kommenden Freitag!


Plan I

Standort: Leba (Polen)
Distanz bis Berlin:
 260 sm
Verbleibende Zeit:
 5 Tage
urchschnittliche Tagesstrecke: 
52 sm
Status:
 machbar


Sonntag, 26. September 2010

mit dem letzten Licht...

um auch den rechten Rand zu sehen, einfach drauf klicken!

ETA Berlin: 20:00?

Auch wenn das Wetter echt hässlich ist, sieht es trotzdem noch so aus, dass es heute etwas werden könnte.


Gerade sind wir auf dem Kanal hinter Niederfinow und haben noch 7 einhalb Stunden vor uns (ohne Schleusen). Genaueres wird regelmäßig hier getwittert. Ich hoffe echt, dass es heute Abend nicht zu spät wird. Nach 5 Tagen Marathon bin ich langsam echt müde.

Falls jemand Lust auf eine Runde freuen hat, kann gerne heute Abend im SVSt vorbeischauen.

Diesen Text habe ich natürlich nicht selbst geschrieben, sondern diktiere ihn gerade meiner Schwester per Telefon, während ich auf dem Deck vor meiner nassen Decke sitze, die auf dem Mast versucht zu trocknen.


Bis heute Abend!

Donnerstag, 23. September 2010

Utopia – du geile Sau

Es sollte ein Beitrag werden über die psychische Härte der letzten Tage im Hafengefängnis, jetzt ist aber frecherweise der heutige Tag dazu gekommen und ich fühle mich zu glücklich und zu müde, um irgendwelche negativen Schwingungen wieder hoch zu beschwören.

Und weil ich zu glücklich und zu müde bin, werde ich die ausführlichen Ausführungen von zu Hause aus nachholen – denn: da bin ich bald. Im Folgenden nun der Plan des dreitägigen Marathons:

Freitag – 24.09.
03:00 Aufstehen
03:30 raus Fahren
13:00 Swinemünde passieren
15:38 Joschkas Geburtstag feiern
18:97 Merles Umrundung feiern
20:30 Ankunft in Stettin
??:?? Mast legen

Samstag – 25.09.
07:00 ab in die Kanäle
19:00 bei Sonnenuntergang irgendwo anlegen

Sonntag – 26.09.
07:00 weiter durch die Kanäle
19-20:00 im SVSt ankommen

IST DAS NICHT EIN PLAN?!

Utopisch, ich weiß und heute Morgen sah der auch noch total anders aus – entspannter und realistischer, doch dann machte der Motor einen Ton. Einen, den ich schon kannte und zwar vom ersten Tag der Reise – überhitzt – futsch – Motorschaden…
Aber ich halte an dem neu gemachten Plan fest, in der Hoffnung, dass nicht wieder mal was Kreatives dazwischen kommt, was mich dann letztendlich und komplett umdisponieren lässt. Wobei mir der Zwischenteil des Plans recht egal ist, Hauptsache wir schaffen das Ende – Sonntag Abend in Berlin!
Und da hab ich dann noch genug Zeit von all den netten, verrückten und lustigen Menschen zu erzählen, den entnervenden Hafentagen, den depressiven Stunden und den Momenten, wo einem vor Glück fast der Kopf zerplatzt… aber all das, wenn ich wieder wach bin.

Samstag, 18. September 2010

Er, Sie, Ich und das Sturmtief

Genre: Psychothriller
Spielzeit: 9h34
Sprache: DD 5.1 Deutsch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Regie: Neptun, Rasmus, Poseidon

Schon lange zieht es die beiden in die Jahre gekommenen Vagabunden, „Er“ (Joschka W.) und „Ich“ (Merle I.) wieder auf die große See. Zusammen mit ihrer „Sie“ (lilleMy) wollen sie sich in neue Abenteuer stürzen. Doch alles kommt anders als geplant, als plötzlich eine schwarze Regenfront auf sie zu kommt. Wie werden die drei Freunde entscheiden? Werden sie umdrehen? Oder werden sie noch mal richtig Gas geben und ihr Ziel, die nächste Stadt, erreichen?

„Eine packende Erzählung eines naiven Selbstversuchs, aufgepeppt mit trivialen Lebensweisheiten“ Bild

Ja, es war bescheuert raus zu fahren. In Wladislawowo saßen wir zwar schon seit drei Tagen fest, eine Stadt wie sie die Sowjets kaum hässlicher hinterlassen konnten, ohne Internet, Duschen für 7 zl, Toiletten für 2 zl und ohne Verbindung zu den nicht weit entfernten Wanderdünen. Als es dann sturmmäßig eine Lücke geben sollte, wollten wir das natürlich auch nutzen. Die ganzen Tage zuvor hatte es immer ordentlich gepustet und Regenschauer mit noch viel mehr Wind gegeben. Aber am Donnerstag sagte der Hafenmeister eine nette 3-4 (Bft) an und der Wetterbericht unserer Nachbarn eine 5-6 aus West. Ist zwar nicht das angenehmste gegen den Wind motoren zu müssen, aber die Aussicht, noch länger hier zu bleiben war wesentlich unattraktiver, immerhin sollte es danach wieder schlechter werden und das dann für drei weitere Tage anhalten. Wir waren nicht die einzigen, die es weiter zog und von der Mole aus, sah das alles auch gar nicht so dramatisch aus.
War es auch nicht, zumindest bis zur Landecke ein paar Meilen weiter, danach war es mit der Abdeckung vorbei. Nach und nach baute sich eine Bootshohe Welle auf, was gar nicht so schlimm wäre, müsste man nicht genau dagegen fahren und wäre sie nicht halb so steil gewesen. Aber immerhin hatten wir noch gute 3,5 kn Fahrt und die Sonne schien auch.
hätte ich das vorher gewusst...
(drauf klicken zum vergrößern)
Plötzlich schien sie aber nicht mehr und eine riesige schwarze Regenwand kam auf uns zu. Die Wand schob eine enorme Windwalze vor sich her und als uns dann noch der Regen erreichte, ging gar nichts mehr. Der Regen war so stark, dass es richtig weh tat, als er ins Gesicht schlug, so dass ich mir die Hand davor halten musste und ich nichts mehr sehen konnte. Aber es gab eh nichts zu sehen. Die Regenwand war so dicht, dass man keine fünf Meter weit gucken konnte. Noch nie habe ich so einen Regen erlebt, zumindest nicht, als ich selbst drin stand und erst recht nicht auf dem Wasser. Mir wurde übel. Das schlimmste war aber, dass der Wind so zugenommen hatte, dass er über meinen 13 PS Diesel einfach nur noch lachte und die Logge auf spottende 0,0 kn drückte. Ziemlich manövrierunfähig kam mir das erste Mal der Gedanke umzudrehen. Dafür war aber gerade keine Zeit, weil das Kurshalten meine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchte. Ein Mal passierte es dann, dass uns eine der Böen etwas zu sehr von der Seite erwischte, bestimmt nur ein paar Grad, aber das reichte und das Boot wurde quer zur Welle mitgerissen, was Joschka etwas panisch auf die Pinne schielen lies, die aber komplett eingeschlagen war.
Als der Regen vorbei war, türmten sich die Wellen immer weiter auf und nicht wesentlich schneller als in der Front schlichen wir vorwärts. Noch ein paar heftige Schauer und Böen folgten, die uns immer mehr in Richtung Strand drückten. Aber wir fuhren trotzdem weiter – komplett bescheuert und bei jeder Böe fragte ich mich warum.
Es war halb vier und wir hatten nur noch gute vier Stunden bis zum Sonnenuntergang, aber noch 11,65 Meilen vor uns. Zurück nach Wladislawowo waren es ca. 20 sm. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5 kn könnten wir es genau schaffen, dann wäre aber alles umsonst gewesen und ganz ehrlich, schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Nach Leba (unser Ziel) würden wir mit der derzeitigen Geschwindigkeit aber noch zehn Stunden brauchen – scheiß Situation. Also Kiste laufen lassen, Motor noch ein wenig quälen und jedes „Flautenloch“ nutzen: das schaffen wir schon – irgendwie – bestimmt – vielleicht – eventuell – müssen wir…
Der Hafen kam in Sicht und das einzige, was uns noch davon trennte war eine weitere, grauenhafte Regenwand. Um eine hatten wir geschafft drum herum zu fahren, durch die allerdings mussten wir jetzt direkt durch. Noch mal vom Regen gefoltert werden, noch mal vom Wind rückwärts gedrückt werden, noch mal auf den Wellen Rodeo reiten.
Wir erreichten die Einfahrt, die Sonne ging unter, wir hatten es geschafft.
Komplett durchnässt und durchgefroren setzten wir uns ins Hafenrestaurant und aßen uns bis zum erbrechen voll. Diese Nacht würde ich mit Sicherheit Alpträume von den Wellen haben, wie sie sich vor uns auftürmten, nicht zu selten vor oder unter uns brachen, wir ins gefühlte Nicht fielen und das Boot laut auf dem Wasser aufkrachte und das gleich wieder von vorne begann.
Es war nicht nur total naiv, sondern auch leichtsinnig und DUMM, schrecklich dumm. Noch nie hatte ich mit meinem Boot geredet, bzw. es verstehen können mit einem Plastikbecher zu kommunizieren, am Donnerstag kam es einfach aus mir heraus und ich flehte das Boot an uns sicher in den Hafen zu bringen.
Im Nachhinein gehört es absolut nicht auf meine „das-muss-ich-unbedingt-noch-gemacht-haben-bevor-ich-sterbe“-Liste, so etwas verstandsloses muss niemand nie gemacht haben.

Dienstag, 14. September 2010

Cinderella, du hast doch keine Ahnung!

Mit drei polnischen Mädchen stehe ich auf einem riesigen Holzboot und wir hören eine italienische Opernversion des Liedes „Cantare“. Auf der einen Seite des Flusses steht die Philharmonie und ein vier Sterne Hotel, auf der anderen befindet sich eine Halbinsel mit einer alten zerfallenen Ruine und dahinter die Altstadt Danzigs, die sich wegen absoluter Windstille romantisch im Wasser spiegelt. Es ist kitschiger, als es Disney sich je hätte ausdenken können – es ist einfach wunderbar.


Zwei von den Mädchen haben heute Geburtstag. Zusammen mit 15 Freunden sind sie hier mit einem gecharterten Boot hergekommen zum Feiern. Es ist eine typisch polnische Party – laut und von allem genug. Deshalb schenke ich der Einen zum Geburtstag eine Kopfschmerztablette. Sie ist total glücklich und lädt mich für den nächsten Tag ein, mit ihnen zu kommen - nach Hel (der vorgelagerten Halbinsel, auf der wir schon neulich waren).

Ich hatte die Meute erst am Abend kennen gelernt, als ich eigentlich gerade ins Bett gehen wollte. Elias und Lorenz waren gerade am Morgen gefahren und alleine gab es nicht wirklich einen Grund noch länger wach zu bleiben.


Vor zwei Tagen waren wir hier in  Danzig angekommen, hatten uns die Altstadt mit meinem Reiseführer reingezogen und wollten dann Essen gehen. Der Plan war eigentlich, in ein typisch polnisches Restaurant zu gehen, das noch „an Sowjetzeiten erinnern“ soll. Das war leider zu und für gute kaschubische Bauernküche war Lorenz nicht so zu begeistern. Er wollte Fisch. Und so standen wir wenig später in einem etwas nobleren Fischrestaurant. Er fühlte sich sichtlich wohl, Elias und ich ein wenig deplatziert. Das Essen war natürlich echt super, wie man es von so einem Schuppen auch erwartet. Für mich gab es ein Spargelcreme-Süppchen auf Gorgonzola, verfeinert mit marinierter Birne… Ich werde von so etwas durchaus satt, die Jungs eher weniger, deshalb haben wir dann auf dem Rückweg noch einen kleinen Abstecher zu Subway gemacht.


Am nächsten Morgen, als alle ausgeschlafen haben, legen die Polen und ich mit dem Holzschiff ab. Alle sehen etwas verknittert aus, was sie aber nicht davon abhält ihr Frühstück mit Wein zu beginnen. Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die abends nüchtern in Puck ankommt, von wo aus wir mit dem Auto abgeholt werden und zu einem der Zeltplätze auf Hel fahren. Durch die letzte kurze Nacht sind alle schon etwas müde, was natürlich kein Grund zum Schlafen ist, wir sind ja hier nicht in Deutschland. Ich bekomme die Autoschlüssel und wir fahren (ich weiß, das sollte ich nicht machen, aber es ist ja alles gut gegangen) zum Italiener - Abendessen. Wieder zurück, werden die Wodkaflaschen ausgepackt. Ich bin aber inzwischen so müde, dass ich schon um zwei ins Bett gehe. Ein wenig unsanft werde ich dann am Morgen geweckt von zwei sich liebenden Menschen und etwas später fährt mich einer von ihnen wieder zurück in die Stadt – was für ein Wochenende. Intensiver kann man die polnische Jugendkultur wohl kaum kennen lernen.

Anmerkung zum Titel
Cinderella ist eine Märchenfigur Walt Disney's und wie ich versucht habe am Anfang zu erklären, waren die Nächte in Danzig wie eine wahr gewordene Märchenszenerie, nur noch viel toller.

Donnerstag, 9. September 2010

the seasick-sausage

Wir hatten in einem Hafen festgemacht, den es eigentlich gar nicht mehr gab, als wir wieder in Klaipeda ankamen. Die Saison ist hier eigentlich schon zu Ende und da hat der Klaipedos Yacht Club sich einfach mal überlegt den Hafen abzubauen.
Am Morgen schwammen vor unserem Boot ziemlich viele Holzplanken mit ziemlich langen Nägeln. Es sah aus, wie in diesen alten Computerspielen, wo man auf verschiedene Sachen springen muss, um über einen Fluss zu kommen - im ersten Level.
KIWI hatte uns vor dem Auslaufen noch eine Stunde Internet geschenkt und die wollten wir auch nutzen. So bahnten wir uns einen Weg durch das Holz, um nochmal kurz bei der Marina anzulegen für einen besseren Internetempfang. Der Wetterbericht sah eigentlich ganz ok aus, aber KIWI berichtete von "vor Ort", etwas anderes: 5-6 Bft und eine ordentliche Restwelle direkt von der Seite - also vielleicht doch noch einen Tag warten?! Nö, hatten wir keine Lust drauf und so fuhren wir zum ersten eingespeicherten Wegpunkt im GPS - ich hatte nicht nur keine Karte für Nida, sondern einfach überhaupt keine für die gesamte Kurische Nehrung und damit auch keine Übersicht über die russischen Sperrgebiete, Betonnung oder sonst was. Deshalb hatten wir uns am Morgen noch schnell die Karten von KIWI ausgeliehen und ein paar Koordinaten rausgeschrieben. Wird schon... Die Leuchtfeuer haben eine Reichweite von ungefähr 17 sm, das heißt, wenn wir sie sehen, sind wir in der Nähe vom Land und hoffentlich nicht unter 12 sm an der Küste, das hätten die Russen sicherlich nicht so gerne.
Am Ende der Hafenmole war es eigentlich am schlimmsten. Wir wurden super durchgeschüttelt und hofften einfach, dass es mit der Zeit besser würde. Wurde es auch, aber gaaanz langsam. Bis dahin hatte sich bei einem Drittel der Crew das Frühstück (Wurst mit Brot) schon längst wieder einen Weg rückwärts ins Wasser gebahnt - und das nicht nur einmal. Nach ungefähr dem sechsten Mal wurde es langsam Dunkel und die Wellen waren immer noch ein wenig höher, aber immerhin von schräg hinten. Die Nacht würde wohl etwas länger werden, denn durch unseren Ausfall blieben jetzt noch ich und Elias übrig, der noch nie wirklich gesegelt und besonders nicht gesteuert war.
Inzwischen waren wir irgendwo über Russland und der Himmel zog sich komplett zu. Manchmal riss er ein wenig auf und dann konnte man die Sterne sehen. Das war so unglaublich! In dieser Unendlichkeit kann man sich echt verlieren. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Sterne gesehen. Darüber konnte man sogar fast seine Müdigkeit und die Schweinekälte vergessen. Irgendwann gab es nur leider auch keine Sterne mehr und von da an wurde es richtig dunkel. Zum Glück hatten wir das Großsegel schon einmal vorausblickend runter genommen, denn die Böen bemerkten wir erst kurz bevor sie uns erreichten und das Boot aus dem Ruder laufen wollte, wie es über den Tag einige Male passiert war. Ich hatte das Gefühl fast blind zu sein und das war echt grauenhaft. Das einzige woran wir uns hielten war ein etwas hellerer Streifen am Horizont und jedes Mal beim Ruderwechsel gab es die Info auf welches Ende des hellen Streifens man gerade zusteuern musste. Zwischendurch beging ich dann den Fehler, auf die Uhr zu schauen: erst kurz nach zwölf. Wann sollte die Sonne aufgehen? Um fünf? Das wäre dann noch eine ganze Ecke hin und wärmer würde es mit Sicherheit auch nicht werden.

Ich denke so gegen drei oder vier hatten wir dann unseren Tiefpunkt erreicht. Wir wechselten ungefähr alle halbe Stunde, weil wir total übermüdet waren und anfingen in der Dunkelheit irgendwelche Sachen zu sehen. Einmal meinte Elias direkt vor uns ein großes Boot zu sehen und ich erkannte irgendwelche Gerüste, die aus dem Wasser ragten. Da war nichts! Aber egal wie müde wir waren, schlafen ging einfach gar nicht, dafür war es zu kalt und ich fand einfach keine Ruhe, um nach unten zu gehen, mit einem Segelanfänger am Steuer. Ich wollte aber auch nicht allein draußen bleiben, wenn ich am Ruder war, dafür war es zu dunkel.

Ab Polen hatten wir wieder Karten und mindestens zweimal war ich unten, um sicher zu gehen, dass die Koordinaten auch wirklich stimmten und um mich zu vergewissern, dass da auch wirklich kein Land ist, auf das wir gerade straight zufuhren. Gegen fünf wurde es tatsächlich hell, ab sechs übernahm Lorenz dann das Steuer, dem es inzwischen wieder besser ging und kurz darauf fiel ich in meinen warmen Schlafsack in einen wunderbar tiefen Schlaf.
Als wir alle wieder so halb auf den Beinen waren wollten wir die blöde Salami vernichten, die uns die Nacht versaut hatte. Ein ordentlich großes Stück kam als Köder an einen Angelhaken, der wiederum an eine Angelschnur und die an eine Relingsstütze. Perfekt. Lorenz, der Angler unter uns, war zwar der Meinung, dass wir mit 5 1/2 Kn Fahrt nichts fangen würden aber zwei Stunden später hatte sich tatsächlich ein Hornhecht an der Salami verschluckt. Dann wurde es einfach nur noch eklig. Der Fisch wurde getötet und weil ich absolut dagegen war, dieses tote Etwas in der Plicht liegen zu haben, wurde er in einer Plastiktüte an den Mast gehangen.
Dann kamen wir in Hel an. Der Fisch wurde aufgeschnitten, ausgeleert, zerschnippelt, verlor Kopf und Schwanz und landete letztendlich in der Pfanne. Er war anscheinend super, aber mein Fall war es nicht - die Gräten wurden GRÜN beim kochen. Brrr...
Der Blutfleck ist übrigens immer noch auf dem Deck. Vielleicht sollten wir es doch mal mit Scheuermilch versuchen.

Dienstag, 7. September 2010

die Sahara-Russen - gewusst wie

Auch wenn uns der Sturm in Klaipeda festhalten wollte, heißt das noch lange nicht, dass wir uns auch festhalten lassen. Von Klaipeda aus gibt es eine relativ schmale Fahrrinne, die durchs Haff nach Nida führt. Das ist kurz vor der russischen Grenze, leider zu kurz, was mir noch ganz schön zum Verhängnis wurde, aber dazu später.
Das Gute am Haff war, dass der Wind zwar ankam, aber nicht die Welle. Jedenfalls nicht die von draußen, aber es ist wirklich unglaublich, was für eine Welle sich in einer Vogeltränke aufbauen kann. So rauschten wir mit konstanten 7+ Knoten und extrem steiler Welle von hinten nur unter Fock Richtung Süden nach Nida im grünen Haffwasser.
Wir hatten erst überlegt, am Abend zuvor loszufahren, immerhin sind das gerade mal 25 Meilen, also um die fünf Stunden. Zum Glück haben wir das nicht gemacht. Zwar besitze ich Karten für Lettland und auch eine für Litauen, aber da ist Nida nicht mehr drauf. Aber ein Junge im Hafen versicherte mir, dass das alles überhaupt kein Problem sei und dass das alles super ausgetonnt ist – ist es auch, aber das reicht eben nicht immer.

So fuhren wir quietschfidel los. Fast bis aus dem Hafen. Da war plötzlich ein Strommast, von dem die Kabel auch ganz schön tief hingen. Ich hab nun echt ein kleines Boot, aber das war wirklich zu tief. Aber irgendwie muss man ja aus diesem Hafen raus kommen, außerdem hatten wir zuvor mit „KIWI“ zusammengelegen, die gefühlt doppelt so groß ist.  Plötzlich verstanden wir zwei Dinge, die vorher etwas zusammenhangslos wirkten. Erstens, was uns das Schild, ein rot durchgestrichenes Segelschiff, sagen wollte: kein Durchgang für Segelschiffe!! Aha! Und zweitens, was uns Gerd von der „KIWI“ am Abend vorher mit „nach Tonne 21 rechts halten und auf den großen Betonklotz aufpassen“ erzählt hatte. Also wieder zurück und Tonne 21 suchen. Die gab es sogar und den nicht zu kleinen Betonklotz mitten im Wasser auch. Hier sollten die Kabel angeblich hoch genug sein. Fest entschlossen fuhr ich drauf zu und die Kabel kamen immer näher. „Der Strom von solchen Leitungen kann übrigens bis zu vier Meter überspringen“ – das war der falsche Moment. Mit einem Mal schlug ich das Ruder komplett ein und wir machten eine 180° Wendung auf der Stelle. Das hätte Lorenz nicht sagen dürfen. Von einer Karte hätte man mit Sicherheit ablesen können, wie viel Platz darunter ist, so aber verkroch ich mich in die Kajüte und überlies mit zusammengekniffenen Augen das Ruder an Lorenz. Natürlich kamen wir locker durch, die Kabel hingen auf 27 Metern.
Von da an hangelten wir uns von Tonne zu Tonne und hofften bei jeder Erreichten, die nächste möglichst bald zu sehen, was mich manchmal zur Verzweiflung brachte. Aber die Landschaft ist ja wirklich der Hammer! Da muss wirklich jeder Ostseesegler einmal gewesen sein! Auf dem schmalen Landstrich, an dem man vorbei fährt, fängt nach ein paar Stunden ein riesiger Sandhaufen an, sich immer weiter auszubreiten. Das ist echt total beeindruckend und vor allem wird er immer größer. Nida musste angeblich schon drei Mal versetzt werden, weil dieser immense Sandberg sich immer weiter vorschiebt. Die Stadt ist klein, der Hafen süß, die Duschen recht sauber, also nichts besonderes, aber wie gesagt die Landschaft…
Nach dem wir die Leinen fest gemacht hatten, schnappten wir sofort unsere Regenjacken, denn zur Abwechslung regnete es mal wieder, und einen Beutel für Pilze, weil die Jungs tierisch geil aufs Pilzesammeln waren. Da Lorenz und Elias ja an Bord auf Fleisch - und damit auf's Jagen verzichten müssen, konzentrierten sie sich auf's sammeln.
Auf der Düne gibt es eine Plattform, von der aus man ziemlich weit gucken kam und glücklicherweise kamen wir genau richtig zum Sonnenuntergang. Auf der einen Seite eine Ölbohrinsel vor der untergehenden Sonne und auf der anderen die russische Grenze – wie romantisch. Zurück am Boot, enthielt unser Pilzbeutel genau einen Pilz.

Am Abend telefonierte ich noch mit meinem Freund. Was ich nicht wusste: die Russen hatten ihr Handynetz weit über die territoriale Grenze erweitert, was zur Folge hat, dass man von der Telefonzone 1 in die Zone 3 rutscht! Was aber noch viel schlimmer ist: Ich habe eine Prepaidkarte. Und was noch ein wenig schlimmer ist: Ich kann sie überziehen. Was aber das an sich allerschlimmste ist: Ich hatte nur noch um die 3€ Restguthaben.
Insgesamt macht das folgende Rechnung: 19 Minuten x 2,65 Cent/Minute = 37€ Gesprächskosten

3€ Restguthaben – 37€ Gesprächskosten = -34€ Handyguthaben - 50€ Strafgebühr fürs Überziehen macht einen Gesamtbetrag von 87€ für eine gute viertel Stunde telefonieren.
Bitter! Das ist das einzige, was mir dazu einfällt. Ich hätte mich einfach ohrfeigen können.

An einem Tag, für den Sturm mit bis zu 9 Bft vorausgesagt war, fuhren wir zurück nach Klaipeda.

eine kleine Anmerkung nachträglich
Ich habe zum Glück etwas falsch verstanden, aber ich glaube auch, dass meine Mutter es extra so erzählt hat, um mich zu schocken. Also ich musste nicht nochmal 50€ mehr bezahlen, sondern nur zum Ausgleich des Prepaidkontos. Hat dann halt nur nen schlappen Fuffi gekostet die Aktion. Na dann...

Donnerstag, 2. September 2010

Eine Hommage an die Zucchini

Oh Zucchini, du aufgeblasene Gurke; die du so delikat schmeckest nach nichts, mit einem Hauch von abgestandenem Wasser. So wie ich dich einst liebte, habe ich dich jetzt mehr als satt.

Zucchini ist meiner Meinung nach das ideale Bootsgemüse, es hält sich lange und man kann es wirklich zu allem essen, Hauptsache man kocht es lang genug, um jeglichen Eigengeschmack raus zu bekommen. Sie kommt fast in alles rein, ich würde sogar behaupten, dass jedes zweite Essen zucchiniversetzt ist und wenn ich jetzt im Laden stehe, ist es für mich die größte Überwindung dieses grüne Etwas wieder in den Einkaufskorb zu legen - und noch schlimmer, es dann im Boot aufzuschneiden und in die Pfanne zu schmeissen. Der Grund, warum ich sie trotz meiner Abneigung immer wieder kaufe, ist ganz einfach: Was ich noch weniger mag, ist ein Essen, in dem es nichts zu beissen gibt, dann könnte ich auch gleich Brei durch einen Strohhalm ziehen.
Als Alternative gibt es natürlich noch Bohnen, die halten sich ja auch ewig, aber da gibt’s ja doch nur Blähungen. Gut, das ist auch alles ein leidiges Thema - zur nächsten Reise werde ich entweder einen Kühlschrank oder eine größere Bilge haben.

Übrigens sitze ich gerade in Klaipeda und gestern sind Lorenz und Elias gekommen. Jetzt müssen wir nur noch den Sturm abwarten und dann geht’s einmal um Russland herum nach Polen. Aber ehrlich gesagt, finde ich es ganz gut hier fest zu sitzen, weil es hier so viel gibt, was ich sehen will, allein die Kurische Nehrung soll der Hammer sein und im Einkaufszentrum soll es ein kleines Eisstadion geben und gestern war hier irgendein anscheinend ganz wichtiges Basketballspiel. Auf jeden Fall hat halb Klaipeda vor einer riesigen Leinwand auf dem Marktplatz gesessen und bei jedem Korb mords Radau gemacht. Die müssen danach alle ganz schön fertig gewesen sein, denn es gibt einige Körbe mehr beim Basketball als Tore beim Fußball.

Die Fahrt von Liepaja hierher war recht unspektakulär. Ich war alleine und bin „KIWI“ gefolgt, dem einzigen anderen deutschen Boot, das hier gerade rumfährt. Es war ziemlich wenig Wind und der kam die erste Zeit auch noch von vorne, so dass der Motor halt arbeiten durfte. Später kam noch die Fock raus. Was allerdings wirklich beeindruckend war, waren die Wolken. Direkt neben mir zog eine riesige graue Wolke vorbei, unter der es ganz schoen heftig regnete und ich habs mir wie im Kino angeguckt und meine Cracker gefuttert, wer braucht da noch Avatar oder James Bond, wenn man eine Regenwolke haben kann ...

Sonntag, 29. August 2010

Der logische Weg - Mersrags, Roja, Möntu, Ventspils, Liepaja.


Das erste was ich bemerkte, nachdem wir den Hafen von Ventspils verlassen hatten, war eine Welle, die uns volle Breitseite erwischte. Wie groß sie war, wusste ich nicht, aber sie hatte es in sich, denn die Seekarte und das Navigationsbesteck in meiner Hand fanden sich mit mir zusammen auf dem Herd wieder – ich war gerade unten, um den Kurs für den Tag abzustecken. Angesagt waren 4-5 Bft, wir waren uns aber später sehr einig, dass es doch eher etwas um die 6 Bft gewesen sein müssen und die Welle ließ sich auch nicht lumpen und schob mit 1-2m unser Heck vorwärts. Wir hatten gute 60 Seemeilen vor uns. Eigentlich gibt es noch einen Hafen dazwischen, aber den wollte ich bei so netten Bedingungen auslassen, weil ich hier jetzt wieder drei Tage verweilen werde, um auf die nächste Crew zu warten – hat ja auch geklappt, wir sind angekommen.

Den ganzen Tag ging das Wetter wie eine Sinuskurve zwischen 4 und 6 Bft und 1 und 2 Meter Welle hin und her. Das schlimmste waren die Böen und wenn sich Wellen- und Windrichtung nicht einig waren und wir fast quer zur Welle fahren mussten, das ist nicht so angenehmen und macht mitunter einen ganz schönen Druck auf’s Ruder. Als es mal gerade wieder weniger geworden war, konnten wir die Fock ausbaumen und das Groß im zweiten Reff mit 'nem Bullenstander festbinden – das ist ein Leben, einfach herrlich und das Boot schob sich mit 6 Knoten vorwärts und das sogar in die richtige Richtung!

Die Tage zuvor hatten wir meistens das Problem, dass der Wind von vorne oder zumindest so kam, dass es ein ganz harter Anlieger war und wir eigentlich die ganze Zeit nur auf der Seite lagen, mit der kleinsten möglichen Segelfläche. Trotzdem kamen wir nicht wirklich voran und freuten uns sogar über 4 Knoten, während ich mich in Luv an der Reling festhielt, damit ich nicht zu den anderen in Lee auf den Schoß rutsche – das war die Tour von Mersrags nach Roja. Die Strecke war an sich ziemlich kurz, gerade mal 12 Meilen. Und weil sie so kurz sein sollte, beschlossen wir trotz des angesagten „etwas mehr Wind“ los zu fahren bevor der ganz große Sturm kommen sollte. Der Hafen, in dem wir gerade lagen, nämlich Mersrags, bot uns zwar die schönsten Duschen Lettlands, aber keinen wirklichen Schutz gegen Wellen und die eine Nacht war schlaflos genug gewesen. Deshalb entschieden wir morgens, den kleinen Verholer zu wagen – dummerweise ungeduscht. Nach sieben Stunden (für 12 Meilen) hatten wir es dann endlich nach Roja geschafft.

Später wurde uns erzählt, dass bis zu 9 Bft gemessen wurden und das mit Wind von vorne, kein Wunder, dass wir so lange gebraucht hatten! Ich ärgerte mich unglaublich, dass wir nun in diesem Hafen festsaßen, der auch kein wirklicher Hafen war. Hier war die Bibliothek mit dem Internet noch weiter weg und was viel schlimmer war: die „Duschen“ waren in einem Container und die wahrscheinlich ekligsten von ganz Lettland, aber es gab immerhin einen Supermarkt direkt nebenan und wir lagen ruhig - festgemacht an einen lettischen Amerikaner, der uns abends noch zu einem Gläschen zu sich einlud. In Roja regnete es die meiste Zeit und sobald der Sturm vorbei war, fuhren wir weiter nach Möntu, ein kleiner Abstecher nach Estland. Natürlich kam der Wind von vorne, der aber von Anfangs 6 auf später 0 abschwächte.

Ich denke, ich verstehe inzwischen, warum mich Anfangs so viel fragend angeguckt haben, wenn ich vollkommen selbstbewusst und vollkommen naiv meinte, dass ich im Uhrzeigersinn um die Ostsee wolle – der Wind kommt einfach immer von der falschen Seite. Deshalb freuten wir uns auch so enorm, als der Wind ab Möntu von hinten kam, egal wie stark oder wenig stark, denn noch in Möntu hatten wir Totenflaute und eine schreckliche Restdünung, von allen Seiten und vorallem absolut keinen Diesel mehr im Tank. Ein paar Stunden ging es, aber mit dem ersten Windhauch wurden sofort die Segel gesetzt und gegen Abend erreichten wir Ventspils mit einem missglückten Anlegemanöver unter Segeln. Dort warteten schon Renate und Michael und ihre Crew auf uns, die wir in Riga kennen gelernt hatten.

Direkt nach dem Anlegen fuhr uns der Hafenmeister mit unseren leeren Dieselkanistern zur nächsten Tankstelle, die ganz schön weit entfernt war – ganz schön nett! Anschließend trug er sie uns wieder zum Boot zurück – ebenfalls sehr nett; irgendetwas Gutes muss das Mädchendasein ja haben.

Später stellten Michael und ich dann fest, dass wir sehr verschiedene Segelstile und –ansichten haben. Ich wusste gar nicht, dass es da so Unterschiede gibt. Ich bin der „Morgens-Segel-setzten-und-Abends-gucken-ob-sie-noch-stehen“-Typ und er halt eher der „die-ganze-Zeit-auf-dem-Deck-rumturnen-und-rumtrimmen“-Typ.

Von der Fahrt von Ventspils nach Liepaja schließlich hatte ich ja bereits am Anfang erzählt. Sie endete damit, dass wir mit einem riesen Regenschauer, untergehender Sonne, noch mehr auffrischendem Wind und noch mehr Welle, einem Containerschiff ausweichend, minimalster Segelfläche und trotzdem 6 ½ kn irgendwie in den ganz schlecht beleuchteten Hafen einfuhren – aber immerhin 1,5 Stunden früher als geplant.

Damit die Zeit auf den immer ganz schön langwierigen Fahrten nicht langweilig wird, haben Leonie, Monia und ich uns öfter vorgelesen und da ich gerade Moitessier lese, war ich der Meinung, dass es doch sehr lehrreich wäre, wenn ich ein wenig daraus rezitieren würde. Das kam bei den anderen beiden nicht so gut an. All die vollgeschriebenen Seiten beinhalteten kaum mehr als ein in Sätze gefasstes Logbuch: Subjekt+Prädikat+Objekt+Datum+Etmal - etwas eintönig. Wenn ich dann später auch nur ansetzte um kurz ein Zitat zu bringen fingen beide sofort an laut „lalala“ zu singen. Das Buch heißt übrigens „der logische Weg“.

Mittwoch, 25. August 2010

Die See ist schwarz und Oskar tot

Oskar war mein Radarreflektor. Mit einer unglaublichen Ausdauer schlug er Tag für Tag und Nacht für Nacht gegen meinen Mast und brachte mich so am Anfang um jeden Schlaf, bis ich mich an das monotone Klappern von Metall auf Alu gewöhnt hatte und jetzt ist er für immer verstummt. Es war klar, dass einer mal nachgeben würde: Mast oder Oskar, zum Glück war es der Oskar. Schon vor einem Monat zeigte er die ersten Anzeichen von Altersschwäche, als er sein erstes Zusammenhaltungsplastikteil verlor, kurz darauf das zweite, doch vor drei Tagen ging es dann mit ihm vollkommen zu Ende. Bei einer kräftigen Böe verlor er erst eine ganze Seite, doch tapfer hielt er noch aus bis zum Hafen in Riga. Dort lag er dann auf dem Deck, hart gezeichnet vom Kampf mit dem Mast.

Gut, eigentlich sollte so etwas gar nicht erst passieren. Weder, dass der Radarreflektor runter kommt, noch dass er erst gegen den Mast schlägt. Ich hatte ihn falsch montiert, als ich den Mast gestellt hatte und dann hatte ich es in auch wirklich jedem Hafen vergessen zu ändern und irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt, aber das Schlagen wurde über die Wochen hin auch immer sanfter, wodurch es noch einfacher zu überhören war – die schlagende Seite des Reflektors hatte sich nämlich mit der Zeit an die Runde Form des Mastes angepasst.

Es regnet hier wirklich jeden Tag, manchmal länger manchmal kürzer, manchmal stärker, manchmal feiner. Der feine Regen wurde von unseren deutschen Fast-Nachbarn in Riga „Nano-Regen“ getauft, weil er so fein war, dass er auch wirklich jedes Ritzchen gefunden hat, außerdem wird es nachts wieder ganz schön kalt – brrr.

Uns wurde erklärt, dass man den Herbst an der Farbe des Wassers erkennen kann. Und es stimmt: Es ist schwarz. Ich hab schon lange nicht mehr auf die Farbe des Wassers geachtet, aber es ist wirklich gruselig, das Wasser ist einfach schwarz.

Mit dem Ende des Sommers kommt auch langsam das Ende meiner Reise. Nagut, ich sollte aufhören sentimental zu werden, ich habe immerhin noch einen Monat. Aber eine gewisse Rückfahrtstimmung ist schon vorhanden und in der letzten Woche musste ich mich dann auch wirklich entscheiden, was denn danach kommt. Oh, das war so schwer! Tausend Ideen - realistische und vollkommen realitätsferne -, aber festlegen ist vor allem nach/ auf so einer Reise unglaublich schwer. Es ist schon immer hart genug zu entscheiden, was es wohl heute zum Essen gibt. Oder noch schlimmer, was das nächste Ziel ist, aber Zukunft? Aber jetzt ist es fest: Ich werde Prinzessin!

Aber davor studiere ich noch Kultur und Technik in Berlin. Ich werde unglaublich schlau und klug werden - das ist ja auch die wichtigste Voraussetzung zum "Prinzessin-werden".

Riga ist wunderschön. Die alten Jugendstilhäuser haben die Sowjetzeit erstaunlich gut überstanden und genau in den Tagen, in denen wir da waren, fand gerade das Fest des Jahres statt, weil Riga in diesem Jahr irgendeinen runden Geburtstag hat, glaube ich. Auf jeden Fall war die Stadt voller Menschen und Feststimmung, sowohl Tags als auch Nachts, und von überallher kam Musik. Ganz verschiedene und komplett durcheinander.