Immer am 31. gibt es in St. Petersburg eine Art Demo, wo sich an zwei zentralen Plätzen die Leute treffen um für ihre Rechte und gegen Korruption und so weiter einzustehen. Dabei kommt es aber jedes Mal zu Übergriffen von der Polizei, einer der Punkte, weshalb sie da stehen und demonstrieren, aber an sich so im Style der lang verjährten Montagsdemos in Deutschland.
Woher ich das weiß? - Wir waren drin, mitten drin, aus Versehen. Wenn irgendwo viele Leute stehen und Polizei außen drum herum, muss man halt einfach gucken. Dass genau dann die Action losgeht, wenn man gerade seinen Kopf reckt um über ein paar Leute rüber gucken zu können, damit rechnet man ja nicht. Und es ging richtig los. Plötzlich fing die Polizei an, mit ihren Knüppeln einfach auf irgendwelche Leute einzuschlagen. Wir sind natürlich sofort weggegangen, aber die gleiche Richtung hatten sich die Geschlagenen leider auch als Fluchtweg überlegt - ein wenig Schiss bekommt man da ja schon. Wir haben uns dann hinter eine Säule von einem der Gebäude gerettet.
Hinter der gleichen Säule standen auch Serg und Gleb. Die beiden hatten wir gerade eine Minute vorher kennen gelernt und sie hatten uns erklärt, was diese ganze Aktion soll, bis es halt los ging. Die beiden sind Russen, aber als ob das nicht reicht, eigentlich kommen sie aus Sibirien - wusste gar nicht, dass da überhaupt IRGENDJEMAND wohnt! Sie fragten uns, ob wir noch mit kommen wollten, zu einem anderen Ort, wo noch mehr los sein sollte. Und weil ich in den letzten Monaten gelernt habe "ja" zu sagen, schliffen die beiden uns hinter sich her, ohne dass wir irgendeine Ahnung hatten, wo es gerade überhaupt hinging. Auf dem Weg gabelten wir noch Sergs Mutter auf, die vor dem "Kinderparadies" auf ihren Jungen gewartet hatte.
Nach einer Weile kamen wir auf den Platz vor die Eremitage, wo noch mehr Leute waren, aber so spannend war es dann doch nicht und deshalb setzten die drei dann unsere kleine private Stadtführung fort, die aber weniger geschichtliche Daten enthielt, als politische Hintergründe und die Probleme der Gesellschaft und solche wichtigen Sachen eben, also den Krempel, den man im Reiseführer etwas anders erklärt bekommt.
Etwas später kamen Gleb und Serg dann auf die Idee uns die Stadt mal von oben zu zeigen, auch etwas, was man außer als Neureicher im Privatheli eher selten zu sehen bekommt - Petersburg von oben. In der Nähe sollte es ein baufälliges Gebäude mit offenem Dach geben. Dass es an sich gar nicht mehr offen ist und auch frisch renoviert war, störte die Jungs gar nicht und so öffnete Serg es mit Glebs Kommentar: "Russen können alles und sie kommen auch überall rein" - nagut, so wäre auch das legitimiert. Das Dach war über dem fünften Stock und wir hatten die perfekte Sicht auf die Newa, das Stadion, eine Kirche und all die wunderschönen alten Häuser von St. Petersburg. Und ich glaube, meine Mutter hat ihre Höhenangstgrenzen um ein ganzes Stück erweitert.
Abends haben mir die beiden Sibirianer noch gezeigt, was man Abends in Petersburg macht, wie man in Russland Bier kauft und vor allem mit welchen Worte man keine Auseinandersetzung mit einem Russen mehr verliert. Auch, wenn ich bis her noch keine hatte, aber man kann ja nie wissen.
Die Rückfahrt aus Russland zurück ins "gesittete Europa" verlief erstaunlich undramatisch. Es war null Wind, deshalb musste der Motor mal wieder ackern und weil das Geräusch so monoton und ermüdend ist, lief ziemlich laut noch Musik (sie musste ja auch den Motor übertönen). Da mein Funkgerät aber drinnen eingebaut ist, hab ich dann nicht bemerkt, dass die Russen eine ganze Stunde versucht hatten, mich zu erreichen. Ich habe das dann persönlich erklärt bekommen, als Zwei von der "Russian Coast Guard" mit einem schwarzen Gummiboot um halb 6 morgens auf mich zugebrettert kamen mit den Worten "Stop the engine" - oops. Aber sie sind - wie gesagt - viel netter als ihr Ruf und deshalb grinste ich etwas blöd, erklärte, dass ich nichts gehört hatte, beantwortete freundlich ihre freundlich gestellten Fragen und sie fuhren wieder - auf jeden Fall war ich wieder hellwach.
Mein Ziel heißt Tallinn, immer noch, auch wenn ich gerade mal wieder in Helsinki bin. So ganz war das auch nicht geplant, aber es ist kürzer, erst auf eine finnische Insel und dann nach Estland zu fahren. Aber der Wind kam dann aus so einer doofen Richtung, sodass wir anstatt nach Estland erstmal Richtung Helsinki gefahren sind. Wir wollten in irgendeinem Hafen pausieren, um von da aus dann nach Estland zu fahren, aber es gibt keine Zwischenhäfen zwischen Haapasaari (die erste finnische Schäre nach der russischen Grenze) und Helsinki, der auf dem Weg gelegen hätte, deshalb haben wir unfreiwillig bis Helsinki durchgezogen. Zumindest fast.
Eine halbe Stunde von Helsinki entfernt mussten wir dann - 0:20 Uhr - durch eine ganz schmale Enge zwischen zwei Inseln, die natürlich nicht befeuert war. Und natürlich war es schon stockduster. Außerhalb der Fahrrinne hatte es übrigens eine berauschende Wassertiefe von 0,7m, also eher suboptimal zum verfahren.
Ich werde wohl in Zukunft sehr viel dafür tun, mein Augenlicht zu schützen, denn diese Blindfahrt war kein angenehmes Erlebnis. Meine Mutter stand vorne und versuchte mit einer Taschenlampe die Tonnen zu suchen und anzustrahlen, bis dann auch ganz schnell die Batterien alle waren und wir aber immer weiter und schneller durch den Wind und die Welle von hinten vorwärts gedrückt wurden. Die Strecke von tags zehn Minuten schafften wir dann in einer rekordverdächtigen Zeit von einer Stunde und die tollste Überraschung gab's aber am Ende: eine geschlossene Brücke, die erst am nächsten Tag wieder aufmacht. Dass es nebenbei noch gewitterte und unser Strom ausgefallen war, finde ich nicht mehr sonderlich erwähnenswert.
Heute morgen sind wir aber doch noch in Helsinki angekommen und ich hab mir total schöne Schuhe gekauft.
Einmal quer durch Westeuropa - Wir werden Binnenschiffer
vor 10 Stunden
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