Bombenstimmung in Estland
Tallinn hatte ich satt. Vielleicht auch nur den „Olümpiahafen“, wie es hier heißt. Die Stadt ist wunderschön, aber es ist schlimmer als am verkaufsoffenen Sonntag über den Ku’Damm zu laufen und dort sind nicht halb so viele Deutsche, wie hier.
Als Helena kam, um als neue Crew mal wieder ein wenig Schwung in die Bude zu bringen, nicht dass es nötig wäre, aber so drei Tage alleine finde ich irgendwie schon ein wenig trostlos. An sich wollten wir auch noch eine Nacht bleiben, aber das wäre dann noch eine Nacht und ich hatte einfach das Gefühl, wieder los zu müssen. So lange an einem Ort, dat is ma nischts! Und so sind wir dann noch gleich am Abend losgefahren, etwas spät, aber es hatte eh ein wenig mehr Wind und ich hatte die Hoffnung, dass es zum Abend hin weniger werden würde – wurde es aber nicht. Den Dieselkanister am Bug abknotend und nachtankend bei ordentlich Wind von vorne und ordentlich Welle, erlebte Helena ihre ersten seglerischen Höhepunkte und weil es auch gar nicht weniger werden wollte (an Wind und Welle) entschieden wir uns ganz spontan doch für einen anderen Hafen: Naissare – eine Stunde näher. Wir fahren zur Zeit mit einem Übersegler und da ist es gar nicht einfach so wirklich die Koordinaten des Hafeneingangs zu finden, aber Steine sind da natürlich trotzdem eingezeichnet, also weiß man grob wo man lieber nicht hin fahren sollte - an die Küste (?!). Nach einigem Vortasten und sinnlosem hin- und herkreuzen kamen wir natürlich an. Bis jetzt bin ich immer angekommen, ohne Zweifel. Nur wie, das ist die weitaus interessantere Frage.
Auf Naissar, das ist eine Insel vor Tallinn, die einzige, haben wir uns erstmal auf den Weg zum Hafenbüro gemacht, angespornt von meinem natürlichen Drang nach einigen Tagen, doch mal wieder an eine Dusche zu kommen. Aber es gab kein Hafenbüro, dafür eine Jugendherberge. Auf dem Weg dahin liefen wir an seltsamen verrosteten Rieseneiern vorbei – es waren alte Mienen. Naissar war wohl zu Sowjetzeiten für seine exzellente Mienenzucht berühmt. Heil oben bei der Jugendherberge angekommen trafen wir auf Menschen. Nur englisch konnten sie nicht wirklich, aber ich glaube, wenn man mich gesehen hat, war eigentlich klar, was das Wort „shower“ wohl bedeuten sollte.
Wir: Do you have a shower?
Sie: Sauna!
Wir: Not sauna – shower!
Sie: No, Sauna!
Wir: No, not sauna, JUST shower!
Sie: Sauna 300 EEK (estische Kronen = 20 €)
Wir: Man nee wir wolln nicht in die Sauna, sondern nur ne Dusche, also einfach Wasser, nicht Sauna, nur Wasser
Sie: Yes, Sauna. No shower! Is no shower. Sauna!
Wir (kurz vor Aggressionen, wie sie nur ein Berliner Underground-Ghetto-Rapper nachvollziehen kann): We’d like to take a shower, not go in the sauna.
Sie: Yes, yes. Not have shower, just sauna.
Ist das nicht eklig? Wir fragten uns, wie sie wohl den Schweiß von sich bekommen wollten, denn der Strand ist auch ein paar Minuten entfernt und auch einfaches, kaltes Wasser waren sie überzeugt, nicht zu haben. Aber das bleibt wohl ein Geheimnis, tief verborgen in einer der längst verrosteten Mienen der Insel.
Alles Dieter oder was?
Kurz nach uns kamen auf Naissar noch drei Finnen, die sich so darüber freuten, dass ich ihre Landleine angenommen hatte, dass sie uns nicht nur auf ein Bier, sondern gleich noch auf noch mehr Bier und Wein und Kartoffeln und Soße und Lagerfeuer und Ikea- Servietten einluden. Dadurch war der Ärger über die Duschen auch ganz schnell wieder in netter Stimmung ertrunken.
Von Naissar hatten wir eigentlich nur vor kurz 20 Meilen um die Ecke zu fahren nach Paldiski, wo wir zwar erst um kurz vor 23 Uhr ankamen, aber das ist ja eigentlich nicht weiter schlimm. Dort Empfing uns schon ein mit den Armen wedelnder Mann und wir dachten nur: Mensch wie nett, dass der da extra wartet um unsere Leine anzunehmen. Das war dann anscheinend eher weniger seine Absicht, denn er schrie zu uns rüber, dass wir nicht festmachen können und nach Lohusalu (wieder zurück, kurz vor Helsinki) fahren sollten. Warum, und ob es nicht doch eine andere Möglichkeit geben würde, hatte er aber keine Lust mehr uns zu erklären. Aber wieder drei Stunden zurück fahren wollten wir ganz bestimmt nicht, dann lieber noch einen Hafen weiter: Dirhami, fünf Stunden weiter.
Und es war so schrecklich dunkel, so unglaublich schrecklich dunkel und auf unserer Karte gab es nicht halb so viele Lichter, wie in Echt. Außerdem verfolgt mich seit dem Gewitter in Russland eine total schizophrene Vorstellung, jetzt immer und überall Gewitter zu sehen, vor allem in der Nacht und natürlich sah ich plötzlich irgendwelche Wetterleuchten, die so direkt nicht da waren. Mit manchen Wellen wackelte der Radarreflektor, der zwischen mir und dem Toplicht war, für einen kurzen Moment zur Seite, wodurch es kurz heller wurde, aber darauf muss man ja auch erstmal kommen und bis dahin hatte ich schon ein halbes Dutzend gefühlter Herzinfarkte. Im Nachhinein hoffe ich, dass es wie eine Art Schocktherapie gewirkt hat.
Kurz nach drei kamen wir aber doch endlich da an, wo zumindest bis 2001 noch eine Ansteuerungstonne gestanden hatte. Dafür sah ich aber eine andere Tonne, die ich nach der Lichtkennung eindeutig für das hielt, worauf ich zu fahren sollte. Also fuhren wir drauf zu. Mir war zwar total unklar, warum der Winkel, mit dem ich den Hafen ansteuerte, so gar nicht stimmte, warum es die Richtfeuer nicht mehr gab und vor allem warum sie den Hafen ganz eindeutig in den letzten neun Jahren weiter südlich versetzt hatten, aber vielleicht war ich auch einfach müde. Ein paar Minuten später merkte ich dann, dass die Leuchttonne doch keine Leuchttonne war, sondern ein Leuchtturm und es daher nicht sonderlich schlau wäre, da weiter drauf zu zu fahren und dass zwei Meter neben uns eine kleine süße schwarze Spitze aus dem Wasser ragte – nett.
Um kurz vor vier waren wir dann doch endlich sicher im Hafen und den nächsten, bzw. gleichen Tag wollten wir dann auch ganz entspannt anfangen und erstmal an dem monsterlangen weißen Sandstrand baden gehen. Wurde nicht viel draus – es gab Quallen. Aber was es genauso viel gab, waren angespülte Steinchen und ich war der Überzeugung, dass davon bestimmt jeder dritte ein Bernstein war. Ich hab keine Ahnung wie die im Rohzustand aussehen, aber ganz bestimmt so, wie die volle Hand die ich gesammelt habe und die seit dem bei jeder Welle neben dem Herd hin- und herrutschen. Am gleichen Abend wollten wir dann eigentlich noch weiter in einen nahen größeren Hafen mit richtiger City. Wir winkten naiv unseren neuen finnischen Nachbarn, fuhren raus, sahen eine komische Wolke, die komische Wolke kam näher, wir drehten wieder um, vorbei an unseren neuen finnischen Nachbarn, die belustigt winkten und parkten wieder an der Stelle, die wir vor zehn Minuten euphorisch verlassen hatten.
Unsere neuen finnischen Nachbarn luden uns auf ein Glas Wein ein und dann noch eins und noch eins und so weiter und weil wir uns gerade übers frühstücken unterhielten, hieß er uns auch gleich noch zum frühstücken willkommen mit den Worten:“How do you like your eggs?“
Sie waren genau richtig, wir zwar um neun Uhr morgens noch etwas müde, aber das verging bei so einem fürstlichen Frühstück schnell.
Danach ging es mit neuer euphorischer Stimmung in einen unnennenswerten Hafen und jetzt, zwei Tage später sind wir hier, in Pärnu.
Einmal quer durch Westeuropa - Wir werden Binnenschiffer
vor 10 Stunden
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