Das erste was ich bemerkte, nachdem wir den Hafen von Ventspils verlassen hatten, war eine Welle, die uns volle Breitseite erwischte. Wie groß sie war, wusste ich nicht, aber sie hatte es in sich, denn die Seekarte und das Navigationsbesteck in meiner Hand fanden sich mit mir zusammen auf dem Herd wieder – ich war gerade unten, um den Kurs für den Tag abzustecken. Angesagt waren 4-5 Bft, wir waren uns aber später sehr einig, dass es doch eher etwas um die 6 Bft gewesen sein müssen und die Welle ließ sich auch nicht lumpen und schob mit 1-2m unser Heck vorwärts. Wir hatten gute 60 Seemeilen vor uns. Eigentlich gibt es noch einen Hafen dazwischen, aber den wollte ich bei so netten Bedingungen auslassen, weil ich hier jetzt wieder drei Tage verweilen werde, um auf die nächste Crew zu warten – hat ja auch geklappt, wir sind angekommen.
Den ganzen Tag ging das Wetter wie eine Sinuskurve zwischen 4 und 6 Bft und 1 und 2 Meter Welle hin und her. Das schlimmste waren die Böen und wenn sich Wellen- und Windrichtung nicht einig waren und wir fast quer zur Welle fahren mussten, das ist nicht so angenehmen und macht mitunter einen ganz schönen Druck auf’s Ruder. Als es mal gerade wieder weniger geworden war, konnten wir die Fock ausbaumen und das Groß im zweiten Reff mit 'nem Bullenstander festbinden – das ist ein Leben, einfach herrlich und das Boot schob sich mit 6 Knoten vorwärts und das sogar in die richtige Richtung!
Die Tage zuvor hatten wir meistens das Problem, dass der Wind von vorne oder zumindest so kam, dass es ein ganz harter Anlieger war und wir eigentlich die ganze Zeit nur auf der Seite lagen, mit der kleinsten möglichen Segelfläche. Trotzdem kamen wir nicht wirklich voran und freuten uns sogar über 4 Knoten, während ich mich in Luv an der Reling festhielt, damit ich nicht zu den anderen in Lee auf den Schoß rutsche – das war die Tour von Mersrags nach Roja. Die Strecke war an sich ziemlich kurz, gerade mal 12 Meilen. Und weil sie so kurz sein sollte, beschlossen wir trotz des angesagten „etwas mehr Wind“ los zu fahren bevor der ganz große Sturm kommen sollte. Der Hafen, in dem wir gerade lagen, nämlich Mersrags, bot uns zwar die schönsten Duschen Lettlands, aber keinen wirklichen Schutz gegen Wellen und die eine Nacht war schlaflos genug gewesen. Deshalb entschieden wir morgens, den kleinen Verholer zu wagen – dummerweise ungeduscht. Nach sieben Stunden (für 12 Meilen) hatten wir es dann endlich nach Roja geschafft.
Später wurde uns erzählt, dass bis zu 9 Bft gemessen wurden und das mit Wind von vorne, kein Wunder, dass wir so lange gebraucht hatten! Ich ärgerte mich unglaublich, dass wir nun in diesem Hafen festsaßen, der auch kein wirklicher Hafen war. Hier war die Bibliothek mit dem Internet noch weiter weg und was viel schlimmer war: die „Duschen“ waren in einem Container und die wahrscheinlich ekligsten von ganz Lettland, aber es gab immerhin einen Supermarkt direkt nebenan und wir lagen ruhig - festgemacht an einen lettischen Amerikaner, der uns abends noch zu einem Gläschen zu sich einlud. In Roja regnete es die meiste Zeit und sobald der Sturm vorbei war, fuhren wir weiter nach Möntu, ein kleiner Abstecher nach Estland. Natürlich kam der Wind von vorne, der aber von Anfangs 6 auf später 0 abschwächte.
Ich denke, ich verstehe inzwischen, warum mich Anfangs so viel fragend angeguckt haben, wenn ich vollkommen selbstbewusst und vollkommen naiv meinte, dass ich im Uhrzeigersinn um die Ostsee wolle – der Wind kommt einfach immer von der falschen Seite. Deshalb freuten wir uns auch so enorm, als der Wind ab Möntu von hinten kam, egal wie stark oder wenig stark, denn noch in Möntu hatten wir Totenflaute und eine schreckliche Restdünung, von allen Seiten und vorallem absolut keinen Diesel mehr im Tank. Ein paar Stunden ging es, aber mit dem ersten Windhauch wurden sofort die Segel gesetzt und gegen Abend erreichten wir Ventspils mit einem missglückten Anlegemanöver unter Segeln. Dort warteten schon Renate und Michael und ihre Crew auf uns, die wir in Riga kennen gelernt hatten.
Direkt nach dem Anlegen fuhr uns der Hafenmeister mit unseren leeren Dieselkanistern zur nächsten Tankstelle, die ganz schön weit entfernt war – ganz schön nett! Anschließend trug er sie uns wieder zum Boot zurück – ebenfalls sehr nett; irgendetwas Gutes muss das Mädchendasein ja haben.
Später stellten Michael und ich dann fest, dass wir sehr verschiedene Segelstile und –ansichten haben. Ich wusste gar nicht, dass es da so Unterschiede gibt. Ich bin der „Morgens-Segel-setzten-und-Abends-gucken-ob-sie-noch-stehen“-Typ und er halt eher der „die-ganze-Zeit-auf-dem-Deck-rumturnen-und-rumtrimmen“-Typ.
Von der Fahrt von Ventspils nach Liepaja schließlich hatte ich ja bereits am Anfang erzählt. Sie endete damit, dass wir mit einem riesen Regenschauer, untergehender Sonne, noch mehr auffrischendem Wind und noch mehr Welle, einem Containerschiff ausweichend, minimalster Segelfläche und trotzdem 6 ½ kn irgendwie in den ganz schlecht beleuchteten Hafen einfuhren – aber immerhin 1,5 Stunden früher als geplant.
Damit die Zeit auf den immer ganz schön langwierigen Fahrten nicht langweilig wird, haben Leonie, Monia und ich uns öfter vorgelesen und da ich gerade Moitessier lese, war ich der Meinung, dass es doch sehr lehrreich wäre, wenn ich ein wenig daraus rezitieren würde. Das kam bei den anderen beiden nicht so gut an. All die vollgeschriebenen Seiten beinhalteten kaum mehr als ein in Sätze gefasstes Logbuch: Subjekt+Prädikat+Objekt+Datum+Etmal - etwas eintönig. Wenn ich dann später auch nur ansetzte um kurz ein Zitat zu bringen fingen beide sofort an laut „lalala“ zu singen. Das Buch heißt übrigens „der logische Weg“.
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