Auf dieser Seite stelle ich mich und mein Ostsee-Segel-Projekt vor.
Kurz und knapp: ich habe vor dieses Jahr mit meinem Segelboot einmal um die Ostsee zu fahren. (Für alle "Nichtblogger", es wird von unten nach oben gelesen! Und ihr könnte auch gerne Kommentare schreiben!)

Samstag, 31. Juli 2010

Russendisko - die Klischees stimmen, die Vorurteile nicht

Die Russen sind nicht so.
Oder sie können sich gerade in den fünf Tagen, die ich hier bin, erstaunlich gut zusammen reißen, aber das glaube ich eher weniger.

Sie sind reich und arm.
Die letzten zwei Morgende wurde ich von einem grauenhaften Dröhnen geweckt, dass immer näher kam und als es den Geräuschhöhepunkt erreichte mit einem mal aufhörte. Es war ein Hubschrauber. Hier fährt man nicht mit seinem Benz oder Audi in den Hafen zu seiner Motoryacht, genauso wenig wie mit Fahrrad, Bus und erst recht nicht mit der Metro, denn von da aus muss man noch mindestens zehn Minuten laufen. Nein, hier kommt Russe mit Privatheli, der dann auch direkt am Steg hinter den Fahnenstangen parkt. Warum auch nicht.
Der extreme Kontrast sind dann die Kommunalkas, in denen hier anscheinend viele wohnen. Das ist sowas wie eine WG, nur dass in einem Zimmer nicht jeweils eine Person, sondern jeweils eine ganze Familie wohnt. Also fünf Zimmer - fünf Familien. Und wenn man mal nicht gerade die Haupttouristenstraße hoch und runter läuft sieht man all die wunderschönen Häuser, die langsam zerfallen und an Plätzen und Metrostationen stehen alte Frauen, die Beeren oder Obst verkaufen, gerade soviel, wie sie da hin tragen konnten, denn die Rente ist mit 40€ doch ganz schön knapp bemessen und billig ist hier wirklich nichts. Vergleichbar sind die Preise ungefähr mit München oder dem KaDeWe, nur Backwaren sind hier richtig günstig und die haben hier so leckeres Zeug.

Sie haben leckeres Essen.
Ich dachte die Kreativität der Küche beschränkt sich auf Borsch und den Rest des Tages essen sie Krautsalat. Inzwischen ist es mir ziemlich peinlich, dass ich da so überheblich gedacht habe, aber das trifft ja auf die meisten meiner Vorurteile zu.
Natürlich gibt es, wie in jeder Großstadt, auch hier Mc Donald's, aber so wirklich durchsetzten konnte es sich nicht. Stattdessen gibt es an jeder Straßenecke einen "Teremok", im Prinzip das gleiche, nur dass sie sich auf Blinys spezialisiert haben. Das sind so crêpeartige Pfannkuchen, die aber doch anders schmecken und mit dem lustigsten Zeug gefüllt sind - auch Krautsalat und als Suppe gibt es auch Borsch in allen möglichen Variationen, so ganz falsch lag ich also doch nicht. Man kann die Dinger aber auch süß mit Kondensmilch essen. Ich hab's aber noch nie probiert, weil ich nach einem Ding echt voll bin. Dazu gibt es, so wie in allen Skandinavischen Ländern auch: Preiselbeersaft, ganz schön süß, aber einfach nur lecker. Gibt's in Deutschland übrigens bei Ikea, aber der schmeckt nicht so gut. Als Alternative kann man auch Kvass trinken, wenn man doch nicht so auf süß steht. Das haben wir uns aber erstmal nicht getraut zu kaufen,  denn die Zubereitung schreckt erstmal ab: es ist ein Gebräu aus gegorenem Brot - noch Fragen?! Ich finde es, schmeckt wie Malzbier, nur bitterer, einfach seltsam und gewöhnungsbedürftig, aber auch echt lecker. Wenn die 1,2% Alkoholgehalt vom Kvass nicht reichen, kann man aber auch noch Honigbier trinken, das ich aber noch nicht probiert habe.
Nach zwei Tagen Bliny wollten wir dann gestern doch mal was anderes essen und sind in eins der "Stolle"-Cafés gegangen, die etwas noblere Variante zum "Teremok". Laut Reiseführer sollte es da die besten Piroggen geben. Ob es die besten sind, kann ich nicht beurteilen, weil ich sie das erste Mal gegessen habe, aber verdammt lecker warn'se. Die Dinger sehen aus wie Brote aus Hefeteig, von denen man dann ein viertel bekommt und sie sind mit allem gefüllt: Hackfleisch, Lachs, Kirschen, Preiselbeeren, Käse - also wirklich alles, aber natürlich nicht gleichzeitig.
Dass die Russen eigentlich für Vodka berühmt sind habe ich bei dem ganzen Essenangebot vollkommen übersehen, dass ist uns erst gestern aufgefallen, als wir in einem Getränkeladen vor einer Vodka-Wand standen.

Sie sind schön.
Wenn man dann in die Stadt fährt (wir allerdings doch mit der Metro) und auf dem Nevskij Prospekt aussteigt, dem Ku'damm Petersburgs, steht man unmittelbar in der Chickeria der Stadt und kommt sich selbst vor wie ein Wal. Die Standardfigur der Russinnen ist irgendwas mit 1,80m und 50kg, wenn's hochkommt. Dazu ziehen sie sich an, als würden sie gerade auf eine Party gehen (was gar nicht so unwahrscheinlich ist) und wenn sie dann wirklich auf eine Party gehen, tragen sie das, was bei uns zu 'nem Abiball oder so getragen wird. Ich denke, ihre Schlafanzüge sind meine besseren Alltagsklamotten. Aber wenn man sich daran gewöhnt hat und einfach vermeidet in die eigene Schaufensterspiegelung zu gucken, dann fühlt man sich auch bald nicht mehr wie ein Troll und man sieht, dass es doch auch noch viel mehr normale Menschen gibt.  Bei den Männern finde ich es allerdings genau umgekehrt. Die meisten sehen leider gar nicht toll aus und die abstehenden Ohren und breiten Gesichter sind auch gar nicht mein Fall.

Sie feiern gerne.
OH JA!! Direkt neben dem Yacht Club, in dem wir liegen, gibt es eine Strandbar und eine Open-Air-Disco und die sind an jedem Abend und in jeder Nacht gerammelt voll und weil zwischen halb eins und fünf Uhr morgens keine Metro fährt, wird da auch ordentlich lang gefeiert.
Tagsüber ist es meistens so warm, dass die erträglichen Temperaturen erst mit Sonnenuntergang kommen Das ist so gegen 23 Uhr und dann füllen sich die Straßen und die ganze Stadt wird zu einer Party, an manchen Stellen etwas ruhiger, da sitzen die Leute mit ihren Bier-, Sekt- und Vodkaflaschen auf den Plätzen und in den Parks und an manchen Stellen halt etwas wilder, zum Beispiel hier im Hafen und dabei ist es auch völlig egal, welcher Tag es ist, die feiern einfach immer und wenn sie noch nicht zu besoffen sind und schon früher nach Hause wollen, geht es halt mit dem Privat-Hummer (Auto) nach Hause. Woher das Geld kommt, weiß ich nicht so recht, denn wer bis fünf Uhr morgens weg ist, kann wohl kaum am nächsten Morgen arbeiten.

Sie sind sauber.
In Berlin müssen sich die Petersburger echt unwohl fühlen, denn so dreckig, wie es bei uns ist, sieht es hier höchstens in den Wohnungen von einzelnen, aber nicht auf der Straße aus. Es ist echt auffällig, wie wenig Müll hier rum liegt und das Hafengebäude wird auch mindestens einmal am Tag gewischt.

Sie sind westlich.
Wenn man durch die City läuft, hat man echt das Gefühl in Berlin zu sein, nur die Häuser finde ich ein wenig schöner und die Werbung und Schilder über den Läden sind auffälliger, aber wahrscheinlich nur, weil ja alles in außerirdischen Hieroglyphen geschrieben ist, die, wenn man sie mal entziffert hat, doch nur sowas wie "Telekommunikationscenter" oder "Restaurant" heißen und das wirklich Buchstabe für Buchstabe übersetzt. Aber nicht nur die Häuser auch die Leute sind so normal, dass es einem erst bewusst wird, wenn man es im Reiseführer liest. Klar, die typischen Russen sehen schon schicker aus und so weiter, aber läuft man bei uns durch Halensee kann man auch nicht erwarten, irgendwelche Hippies zu sehen. Aber auch die gibt es hier, man muss nur in den richtigen Ecken suchen.
Den Abend gestern haben wir auf einem Dach in einem Hinterhof verbracht. Wir haben uns natürlich nicht einfach auf irgendein Haus oben drauf gesetzt! Zu der Dachterasse gehört ein Café, das mich vom Aussehen und von den Leuten sehr an die Berliner Öko-Alternativszene erinnert hat. Der Rest des Hauses ist voll von Gallerien irgendwelcher Künstler und Designer - wirklich sehr nett.
Aber so wirklich kann ich gar nicht sagen, was alles westlich ist, eher was auffällt, was es nicht ist.
Zum Beispiel diese supercoolen Zwiebeltürmchen auf Kirchen, aber sonst hält sich das eher in Grenzen und was auch ins Klischee passt: Sie stehen hier alle (ja, natürlich gibt es Ausnahmen) auf schnell und schick.

Sie sind sozial.
Oft reicht ein Job gar nicht aus, um sich sein Leben hier zu finanzieren, deshalb sieht man gegen Abend in den Fußgängerzonen an jeder Ecke Leute ihr Talent zeigen und dabei sind sie ganz schön kreativ. Natürlich gibt es die Gitarrenspieler, wie in jeder Stadt, aber auch Keyboard mit Gesang, Geigen-Bratschen-Trommel Terzette, Akkordeon-Trommel-Gitarre-Gesang-Beatbox-Tanz Gruppen und mein persönlicher Favourit: Gitarren-Gesang-Marionettentheater. Und das tollste ist, die Zuschauer geben auch was. Stehen bleiben eher wenige, aber im Vorbeigehen wirft jeder dritte einen Schein rein.

Und sie sprechen kaum englisch.
Ich würde behaupten, dass 90% kein einziges Wort Englisch sprechen und die übrigen zehn Prozent ja doch eher selten hinter dem Tresen im Imbiss/Restaurant steht, dafür sitzt zum Glück meistens einer davon als Gast  im Restaurant und sobald sie sehen, dass es Verständigungsschwierigkeiten gibt, kommt schon jemand zur Hilfe.
Ich finde das echt auffällig. Jedes Mal, wenn eine der Kassiererinnen oder Kellnerinnen uns komplett verzweifelt anguckt, weil ich zu irgend etwas noch eine Frage habe, hört man im nächsten Moment neben sich in den unterschiedlichsten und lustigsten Akzenten:"Can I help you?", genauso bei Fragen nach Wegen, Bussen oder was man halt braucht, um sich durch eine Fünfmillionenstadt zu kämpfen.

Ich hoffe ich muss es nicht mehr erleben, weshalb einem normalerweise in Bezug auf Russland immer so ein Horror gemacht wird. Ich fühle mich hier super wohl.

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